11/06/2025
Jetzt schaut jeder hin.
Aber wer hat damals hingeschaut?
Zehn Menschen sind an diesem Morgen aufgebrochen.
In einen Alltag, der keiner mehr wurde.
Zehn Kinder, Jugendliche, Erwachsene,
die nie mehr nach Hause kamen.
Zehn Familien, die ihre Liebsten nie mehr umarmen konnten.
Zehn Stühle, die leer bleiben.
Und ein elftes Leben, das zerstörte und sich selbst mit.
Eine ganze Schule verstummt.
Lehrer weinen. Schüler zittern.
Eltern rufen an, bekommen stundenlang keine Antwort.
Sie wissen nicht: War es mein Kind?
Ist es unter den Opfern?
Oder unter denen, die überlebt haben
aber nie wieder dieselben sein werden?
Jetzt ist der Aufschrei groß.
Politiker, Direktoren, Verantwortliche sprechen von Prävention,
holen Pläne aus der Schublade, halten Pressekonferenzen.
Sie sagen: „Das darf nie wieder passieren.“
Aber wo wart ihr, bevor es passiert ist?
Denn Mobbing ist kein neues Problem.
Verzweifelte Kinder sind kein neues Phänomen.
Und das Wegsehen, das gibt es schon viel zu lange.
Ich arbeite als psychosozialer Berater,
Krisen- und Trauma-Fachberater,
Traumapädagoge und Gatekeeper der Suizidprävention.
Ich begleite Kinder, Jugendliche, Eltern, Lehrkräfte und Einsatzkräfte
inmitten ihrer Krisen, inmitten ihrer Sprachlosigkeit.
Und ich weiß, wie es sich anfühlt,
wenn das eigene Kind leidet
und dir niemand glaubt.
„Das ist vielleicht nur die Sichtweise Ihres Kindes.“
„Wir beobachten das mal.“
„Mobbing ist das vielleicht noch nicht, da fehlen noch Kriterien.“
„Wir setzen einen Gesprächstermin in drei Wochen an.“
Drei Wochen, in denen sich nichts ändert.
Drei Wochen, in denen das Kind weiter allein steht.
Drei Wochen, in denen jeder Blick weh tut.
Aber wie viele Tränen braucht es denn,
bis man endlich hinschaut?
Und manchmal mobbt nicht ein Kind.
Manchmal ist es ein LehrerIn.
Und selbst dann heißt es:
„Das ist die Sichtweise ihres Kindes. Ich habe eine andere.“
Es gibt LehrerInnen und DirektorInnen, die sagen dann:
„Vielleicht wäre eine Psychotherapie gut – damit das Kind lernt, damit umzugehen.“
Aber warum?
Weil es gemobbt wird?
Weil es leidet?
Ist das gemobbte Kind das Problem?
Und der Mobber?
Da macht man dann ein Gruppenspiel in der Klasse zur „Stärkung des Miteinanders“.
Doch niemand sagt ihm, was er tut.
Niemand benennt den Schmerz, den er verursacht. Und so bleibt alles unausgesprochen. So bleibt das System bequem und das Kind allein.
Ich erinnere mich an ein 11-jähriges Mädchen in einem Workshop.
Sie sagte von sich aus: „Ich geh nie zu einer Psychotherapeutin.
Die hören mir eh nicht zu.“
Ich antwortete:
„Aber du sprichst gerade mit mir. Ich bin psychosozialer Berater.“
Sie sah mich an:
„Ja. Aber du hörst mir zu.“
Diese Sätze bleiben.
Weil sie zeigen, woran es fehlt.
Denn Gewalt beginnt nicht mit einer Waffe.
Sie beginnt im Kleinen.
Im Wiederholten.
Im übersehenen Schmerz.
Jetzt redet man darüber, wie man Täter aus Schulen fernhalten kann.
Scanner. Bodyguards. Sicherheitskonzepte.
Doch das ist nicht der Anfang. Das ist das Ende.
Die eigentliche Frage muss lauten:
Wie verhindern wir, dass jemand überhaupt zum Täter wird?
Und das geht nicht mit drei Stunden Schulsozialarbeit pro Woche.
Das geht nicht mit leeren Phrasen.
Das geht nur mit echter Prävention und echtem Willen.
Doch genau hier fehlt es.
Psychotherapeuten und Psychiater sind wichtig.
Aber sie können nicht alles allein leisten.
Prävention beginnt viel früher.
Dort, wo psychosoziale Berater, Traumapädagoge und Krisenfachkräfte helfen könnten wenn man sie denn ließe.
Doch es fehlt an Geld.
An Vertrauen.
An Offenheit.
Statt Förderungen auszubauen, werden sie gestrichen.
Programme wie Gesund aus der Krise wurden gekürzt.
Lehrkräfte sagen mir, sie hätten gerne mehr Unterstützung, aber dürfen niemanden anstellen. Die Bildungsdirektionen geben keine weiteren Mittel frei.
Und währenddessen hören wir:
„Wir tun alles, damit so etwas nie wieder passiert.“
Nein. Das tut ihr nicht.
Wenn ihr es ernst meint,
dann öffnet endlich die Türen.
Dann lasst Fachkräfte in die Schulen.
Niederschwellig. Täglich. Verlässlich.
Dann hört auf, euch hinter Zuständigkeiten zu verstecken.
Und hört auf, so zu tun, als sei Prävention ausschließlich Psychotherapie.
Denn es gibt auch gesunde Kinder,
die einfach Hilfe brauchen bevor sie krank werden.
Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man um Hilfe ruft.
Wenn man nicht nur bittet, sondern schreit.
Wenn man sagt: „Bitte, schaut hin.“
Und man stößt nur auf Wände.
Wird als überempfindlich, als lästig, als schwierig dargestellt.
Ich habe das selbst erlebt.
Nicht nur als Fachkraft.
Sondern als Vater.
Darum schreibe ich diesen Text.
Für die, die nicht mehr sprechen können.
Für die, die überlebt haben, aber alles verloren.
Für die, die nie wieder heimgekommen sind.
Andreas Felder
Psychosozialer Berater | Krisen- & Trauma-Fachberater
Traumapädagoge | Gatekeeper Suizidprävention
Trainer psychischer Erste Hilfe Sekundarstufe I & II
🌻 www.amhorizont.com
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