08/11/2019
Ich feier die Menschen, die vor 30 Jahren erfolgreich für die Freiheit eines ganzen Landes gekämpft haben. Und ich feier die gesamtdeutsche Gesellschaft, die trotz aller Widrigkeiten, Herausforderungen und sogar trotz verpasster Chancen, dafür gesorgt hat, dass das friedliche Zusammenleben seit 89/90 selbstverständlich war und ist.
Mein Anteil daran und der meiner Generation - sowie den nachfolgenden - ist naturgemäß sehr gering. Und selbst das ist ein Euphemismus. Der allergrößte Teil der Menschen in diesem Land gehört, unabhängig von ihrer Herkunft, zu den Nutznießern dieser jüngeren Geschichte, wenn es um Kultur, Perspektiven und die freie Entfaltung geht. Das gilt speziell für die Bürger*innen der ehem. DDR, aber auch für andere Seite der damaligen Grenze. Aber gilt das auch uneingeschränkt für die berufliche, finanzielle oder wirtschaftliche Entwicklung nach 1989? Natürlich nicht und vor allem ganz offensichtlich nicht. Doch die Wende dafür verantwortlich zu machen, ist nicht nur falsch, sondern diskreditiert die dahinter stehende Leistung und den Mut, die für die Revolution und den bekannten Ausgang der Geschichte nötig gewesen ist.
Genauso ist es falsch, auch noch in 2019 das damals verwendete Framing von Mauerfall, Wiedervereinigigung oder Währungsunion zu verwenden. (Die Rede von den „neuen Bundesländern“ kam der Wahrheit noch am nächsten.) Die Mauer ist nicht aufgrund einer Laune der Natur umgekippt und es wurden eben nicht zwei Systeme in Bezug auf Politik, Gesetzgebung oder Bezahlarten zusammengeführt. Zum Teil leider, in vielen anderen Aspekten zum Glück.
Es gibt genügend Aufgaben und Herausforderungen aus dieser Zeit, die ungenügend thematisiert und damit ungelöst sind. Einige davon finden in der Kommunikation und den Erfolgen der AxD aktueller denn je ihren Widerhall.
Wie steht es zum Beispiel um den Anteil der ostdeutschen Biografien in den Führungsebenen der Ministerien, den Universitäten oder den Dax-Unternehmen? Fangfrage.
Denn dreißig Jahre nach dem Ende der DDR wurde der größte Teil der heute berufstätigen Menschen gesamtdeutsch sozialisiert und hat seinen berufliche Karriere erst nach 1989 begonnen. Und auch abgesehen von prozentualen Anteil der Menschen aus den damaligen Republiken ist es doch eher ein Aspekt von Infrastruktur und Bildung, von De-Ökonomisierung und Abwanderung, dass es diese ungleichmäßige Verteilung - nicht nur in Politik und Wirtschaft - immer noch gibt.
Natürlich existieren Gegenbeispiele und Erfolgsgeschichten zu genutzten Chancen, beruflichen Aufstiegen und gefestigten Regionen auch zwischen Usedom und Görlitz, die man erzählen kann und erzählen sollte. Kampagnen und Publikationen jedoch, die diese Geschichten zum Jahrestag vor allem in Abgrenzung zum ehemaligen Westen exotisieren und glorifizieren, lassen diese Leistungen kleiner und seltener Erscheinen, als sie sind. Stattdessen behindern sie die nötige Normalität, den überfälligen Austausch sowie das Lösen der Aufgaben, die sich durch die 40jährige Trennung der beiden deutschen Staaten angestaut haben und zum
Teil noch nicht gelöst sind.
Deshalb lasst uns in diesen Tagen gemeinsam feiern und das Ost-/Westding endlich hinter uns lassen, ohne die Fehler und Versäumnisse, aber auch ohne die Erfolge und die historischen Leistungen zu vergessen, da wir nur auf diesem Wege daraus lernen können, ohne zu belehren. Es ist - und das sollte die Erkenntnis sein - unsere gemeinsame Vergangenheit und vor allem unsere gemeinsame Zukunft.
Peace ✌🏼