24/08/2025
Der Schimmelreiter
Vor langen Zeiten lebte in der Nähe von Ingolstadt ein Mann. Oft saß er im Wirtshaus, und nicht selten vergaß er die Stunde. So geschah es auch in einer der Raunächte, wenn die Schleier zwischen den Welten dünn sind und die Wilde Jagd mit ihrem Heer durch die Lüfte zieht. Als der Mann in jener Nacht heimwärts ging, gesellte sich ein weißer Schimmel zu ihm. Der Wanderer staunte, doch da ihn die Müdigkeit drückte, schwang er sich auf das Tier. Kaum aber hatte er Platz genommen, da brauste der Schimmel mit Krachen und Sturmgebraus empor in die Nachtluft. Höher und weiter trug ihn der Ritt, ohne Rast und ohne Ziel.
Da, im ersten Grau des Morgens, erklangen Glocken aus der Tiefe. Der Schimmel bäumte sich, warf den Reiter ab und verschwand. Der Mann fiel weich in den Sand am Ufer eines großen Gewässers. Vor schlimmeren Unheil bewahrt, irrte er lange umher und brauchte viele Monate, bis er wieder nach Hause fand. Doch seit jener Nacht nannte man ihn nur noch Schimmelreiter.
Da Schimmel
Als i no a Kind gwen bin und mir in da Wirtschaft warn. Do stand a eiserner Ofn in da Stubn und a Benk, wo i mi imma hintgsetzt hob, bloß zum lousen. Wenns benebelt warn, hams so oilde Gschichtn vazählt und or Gschicht ham’s besonders gern verzählt: Wenn ma vo Ankering (Enkering) noch Pfahldorf im Altmühltal ganga is, gehts an Berg nauf. Do soll a Schimmel umganga sei. Ah wer nachts vo da Schlößlmühl nach Pfahldorf ganga is, dem is da Schimmelreiter begegnet. Um zwölfe auf d’Nacht is dou a weißer Schimmel grittn und drauf is a Mo drauf g’sessn der oba koa Kopf ghabt hod.
Der Schimmel oder der Schimmeleiter ist in alten Sagen eng mit dem Wilden Jäger und der germanischen Vorstellung der Wilden Jagd verbunden. Mitunter erscheint er als Vorreiter, ja sogar als Anführer jener unheimlichen Schar, die häufig mit dem vorchristlichen germanischen Allvater und seinem achtbeinigen Pferd in Verbindung gebracht wird.
In Beilngries im Altmühltal soll es bereits in vorchristlicher Zeit das Erntefest Waudlsmähe gegeben haben. Dabei wurden dem germanischen Wotan (auch Waudl, Wodan oder Odin genannt) und seinen Gefährten (dem Waudlgaul und den Waudlhunden) Milch, Brot, Bier und die letzte Garbe dargebracht. Dieses Opferfest markierte das Ende der Getreideernte.
Mit der Christianisierung wandelten sich die alten Bräuche und Mythen. Aus germanischen Glaubensvorstellungen entstanden früher wieder neue Rituale und Vorstellungen, die sich bis heute in Geschichten und Sagen der Region widerspiegeln. Noch immer erzählt man sich, dass die unheimliche Wilde Jagd besonders in den Raunächten ihr Unwesen treibe. Der Wilde Jäger gilt dabei als Sinnbild für die Vergänglichkeit und die ungebändigte Macht der Natur.