03/10/2023
Einigkeit und Recht und Freiheit. 33 Jahre vereintes Deutschland.
Heute vor 33 Jahre war ich als einjähriges Kind auf dem Arm meiner Oma auf dem Platz vor unserer Kirche in Warnemünde, meine Schwestern waren an den Händen von Opa - meine Eltern waren oben auf dem Podium: meine Mutter mit dem Kirchenchor, mein Vater mit seiner Akkordeongruppe. Zum ersten Mal durften sie die Hymne singen und spielen, auf die sie so lange warten mussten: „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“. Da flossen viele Tränen - vor Glück.
Der 3. Oktober ist für uns der wichtigste Tag nach Weihnachten. Meine Schwestern sind mit ihren Familien nach Hause gekommen, wir feiern heute als Familie gemeinsam die Wiedervereinigung und damit Freiheit und Demokratie - und wir feiern das Ende der DDR-Diktatur, die unseren Älteren so übel mitgespielt hat. Wir denken heute auch an die Menschen, für die die Ostsee auf der Flucht zum Grab wurde, an die Werft-Kollegen meines Vaters, die abgeholt wurden und nie wieder zurückkamen, an die „guten Freunde“ aus dem Kirchenkreis, die Stasi-Spitzel waren und auch über meine Eltern Akten führten.
Wir werden heute auch viel lachen - zum Beispiel über die kleinen Erfolge meiner Eltern und Großeltern im Alltag, das Regime hintergangen zu haben. Wir werden viel erzählen, was sich für uns alle verändert hat, und dies war eine Menge - und wir werden voller Stolz auf das blicken, was wir hier gemeinsam in diesem Land erreicht und geschaffen haben. Ich erinnere mich noch an die kaputten Häuser in meiner Kindheit, an den Gestank der Kohle, der Trabis und Ladas, an die stinkenden Zuflüsse zur Ostsee. Nichts erinnert mehr an den Dreck aus der DDR! Diesen Stolz lassen wir uns nicht nehmen, interessiert eh kaum, wir brauchen auch keine Anerkennung mehr, der Zug ist längst abgefahren- nur die doofen Sprüche wie „Ist ja alles so hübsch hier. Naja, kein Wunder, haben wir ja alles bezahlt“, die wir heute noch hören, sollte man uns endlich ersparen.
Hoffentlich wird es die Generation meiner Kinder schaffen, in einem Deutschland aufzuwachsen, in dem die kulturellen Unterschiede und die Vielfalt der Regionen bekannt sind und gegenseitig akzeptiert werden. Dann wird man wissen, weshalb wir im Osten genauso anders sind wie die Bayern und Württemberger, die Berliner und Hamburger, die Kölner und Pfälzer, die Hessen und Saarländer. Unsere Grundskepsis gegenüber allem was aus Berlin kommt, ist ein Ergebnis aus der DDR-Zeit und der damaligen Hauptstadt der DDR mit ihrer sozialistischen Zentralregierung, die ohne Rücksicht auf die Bezirke und ihre Eigenschaften durchregierte. Unsere weit verbreitete Ablehnung gegenüber dem Gendern hängt viel mit der DDR-Nomenklatur und -Terminologie zusammen. Die Fahne und die Hymne sind für uns keine „rechten Symbole“, sondern sie stehen für das vereinte Deutschland, für unsere Heimat, für das Land, in dem wir leben. Die Abneigung gegen zentrale Verbote und Vorschriften ist ein Relikt aus der DDR-Zeit - unsere Abneigung gegen Besserwisser, Ideologen und Menschen, die uns die Welt erklären wollen und uns vorschreiben möchten wie wir leben sollen, übrigens auch, denn das hatten wir alles in der DDR - die SED-Typen waren eher selten beliebt.
Ich wünsche Euch einen schönen Feiertag! Wir werden irgendwann am Abend die Instrumente holen und Musik machen, Freunde und Nachbarn werden kommen, wir schmettern Seemannslieder, unser Mecklenburg-Lied und irgendwann die Nationalhymne. Meine Eltern werden so weinen wie vor 33 Jahren. Und immer noch aus Freude über die Wiedervereinigung und über das Glück, dass ihre Kinder und Enkel in Freiheit und in einer Demokratie aufwachsen dürfen.
Einigkeit und Recht und Freiheit.