27/05/2025
Wenn Freiheit zur Show wird – über Orcas, Delfine und uns
Wenn Du schon einmal in einer Orca-Show warst, hast Du sie sicher gesehen: die riesigen Wale, die scheinbar mühelos durch die Luft fliegen, das Wasser spritzen lassen, das Publikum begeistern. Auch die Delfine, die auf Kommando springen, tanzen und mit den Flossen „winken“. Für viele ist das ein Highlight des Urlaubs. Auch ich habe solche Shows früher einfach hingenommen. Beeindruckend, klar. Doch heute frage ich mich: Was steckt eigentlich wirklich dahinter?
Ich habe mich tief in das Thema eingelesen – in wissenschaftliche Studien, in Erfahrungsberichte von Meeresbiologen, in ethische Debatten. Und ich bin auf Stimmen gestoßen, die etwas völlig anderes zeigen als das, was die Shows uns vorgaukeln. Deshalb schreibe ich diesen Artikel. Nicht, um Dir etwas zu verbieten oder zu verurteilen – sondern, um Dich einzuladen, hinzusehen. Und vielleicht anders hinzusehen als bisher.
Forschung? Ja – aber nicht in der Showarena
Eines der Hauptargumente, das Du vielleicht auch schon gehört hast: Delfine und Orcas in Gefangenschaft würden wichtige Erkenntnisse für die Wissenschaft liefern. Aber was heißt das konkret?
In Wahrheit sind die Bedingungen in Showbecken so unnatürlich, dass sich viele Verhaltensweisen verändern oder gar nicht mehr zeigen. Stress, Platzmangel, fehlende Jagdmöglichkeiten – das beeinflusst Körper und Geist der Tiere massiv. Die renommierte Biologin Naomi Rose hat schon vor Jahren in einer Studie klar gemacht, dass Delfine und Wale in Gefangenschaft Verhaltensstörungen entwickeln – etwa monotones Kreis-Schwimmen oder Selbstverletzung. (Rose & Marino, 2009)
Das ist keine Wissenschaft im eigentlichen Sinn. Das ist eine Zwangs-Situation, aus der man kaum Rückschlüsse auf wilde Tiere ziehen kann. Die Forschung, die wirklich zählt, findet heute dort statt, wo diese Tiere leben: im offenen Meer.
Bildung oder Illusion?
Vielleicht denkst Du: „Aber wenigstens lernen die Kinder dort etwas über die Tiere.“ Und ich verstehe diesen Gedanken – den hatte ich auch. Aber mal ehrlich: Was bleibt hängen, wenn Du einen Orca siehst, der auf Pfiff springt? Dass er Gehorsam zeigen kann. Nicht, dass er hunderte Kilometer durch den Ozean zieht. Nicht, dass er ein komplexes Sozialleben führt. Und schon gar nicht, was ihn bedroht – wie Lärmverschmutzung, Klimawandel, Beifang.
Robert Marc Lehmann, Meeresbiologe, Forschungstaucher und Naturfotograf, bringt es ganz direkt auf den Punkt: „In Gefangenschaft gehaltene Orcas zeigen kein natürliches Verhalten. Die Menschen sehen nur eine Show. Keine Realität.“ Seine klare Haltung und sein Mut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, haben mich tief beeindruckt. Er reist um die Welt, um genau das aufzudecken, was andere lieber verbergen würden. Auch den Loro Parque auf Teneriffa hat er kritisch thematisiert.
Artenschutz durch Shows? Leider nein.
Ein weiteres Argument der Betreiber: „Wir schützen die Tiere – durch Nachzucht und Aufklärung.“ Klingt gut. Ist es aber nur bedingt.
Die Nachzucht in Gefangenschaft trägt nicht zum Schutz wilder Populationen bei, denn die Nachkommen werden nie ausgewildert. Sie leben ihr Leben hinter Glas. Und viele „Schutzprojekte“, die erwähnt werden, bleiben vage. Konkrete, messbare Beiträge zum Schutz von Orcas oder Delfinen in der Natur? Fehlanzeige.
Echter Artenschutz bedeutet: Meere schützen, Beifang reduzieren, Wildtiere beobachten, ohne sie einzusperren. Und das findet draußen statt, nicht in einem Showbecken mit Scheinwerfern und Lautsprechern.
Und was ist mit dem Wohl der Tiere?
Hier wird es persönlich. Wenn ich mir Videos von Orcas in Gefangenschaft ansehe – wie sie apathisch treiben, ihre Rückenflosse schlaff nach unten hängt, sie Zähne an Betonwänden abreiben – dann macht das was mit mir. Mit Dir vielleicht auch.
Diese Tiere sind intelligent, emotional, sozial. Sie leben in komplexen Familienverbänden, haben Dialekte, zeigen Mitgefühl, jagen im Team, spielen. Und in einem Becken? Da sind sie eingesperrt, dressiert – und oft krank.
Eine Studie von Visser et al. (2014) zeigt: Orcas in Gefangenschaft haben eine signifikant höhere Sterblichkeitsrate als ihre wilden Artgenossen. Und viele sterben früh an Lungenentzündungen, Infektionen oder Magenproblemen – Krankheiten, die durch Stress und unnatürliche Lebensbedingungen begünstigt werden.
Warum ich Dir das schreibe
Ich schreibe Dir diesen Text nicht, um Dir Schuldgefühle zu machen. Ich will Dir auch nicht sagen, was Du zu tun hast. Aber ich möchte Dir die andere Seite zeigen – die Seite, die in der Show nicht sichtbar ist.
Auch ich bin mit diesen Bildern groß geworden: Delfine, die fröhlich springen, Orcas, die wie Performer wirken. Aber je mehr ich mich mit der Wahrheit beschäftigt habe, desto klarer wurde mir: Das ist nicht natürlich. Das ist nicht gerecht. Und das ist auch nicht mehr zeitgemäß.
Robert Marc Lehmann hat einmal gesagt:
„Wenn wir Tiere lieben, lassen wir sie in Ruhe. Liebe bedeutet nicht Nähe – Liebe bedeutet Respekt.“
Und genau das wünsche ich mir: mehr Respekt. Für die Tiere. Und für Dich – weil Du bereit bist, hinzuschauen.
Was Du tun kannst
Du musst nicht alles verändern. Aber vielleicht kannst Du bei Deiner nächsten Entscheidung etwas bewusster hinschauen. Du kannst Dokumentationen schauen, Wildbeobachtungstouren machen, Dich über Meeresschutzprojekte informieren – es gibt so viele Wege, die faszinierende Welt der Meeresriesen kennenzulernen, ohne sie einzusperren.
Den gesamten Artikel - und mehr - kannst du (wie immer) auf meiner Homepage lesen:
https://inselmagazin-teneriffa.de/online/posts/wenn-freiheit-zur-show-wird-uber-orcas-delfine-und-uns-217.php
Was ich mir vermutlich anhören darf – und was ich dazu sagen möchte
Ich weiß, dieser Artikel wird nicht jedem gefallen. Vor allem nicht denen, die wirtschaftlich oder emotional stark mit solchen Einrichtungen verbunden sind. Deshalb rechne ich mit einigen Reaktionen – und vielleicht auch Du. Hier ein paar der typischen Kritikpunkte, die ich erwarte – und meine Antworten darauf:
„Du hast doch keine Ahnung – die Tiere werden dort bestens gepflegt!“
Stimmt, ich bin kein Tierpfleger. Aber ich habe mich ausführlich mit wissenschaftlichen Quellen beschäftigt, die auf die psychischen und physischen Folgen der Gefangenschaft hinweisen. Und diese sprechen eine klare Sprache: Selbst die beste Pflege kann die grundlegenden Bedürfnisse dieser Tiere nicht erfüllen – wie Weite, Freiheit, Jagdverhalten und soziale Strukturen.
„Aber Shows helfen doch, die Menschen für Meerestiere zu begeistern!“
Begeisterung ja – aber auf Kosten der Tiere? Wenn jemand Delfine mag, weil sie auf Kommando springen, lernt er oder sie nicht, was sie wirklich sind: komplexe, wilde Wesen mit einem reichen Sozialleben. Echte Begeisterung entsteht durch Wissen, Begegnung in freier Natur oder moderne Bildungsformate – nicht durch Dressur.
„Ohne Einnahmen aus den Shows gäbe es keinen Artenschutz mehr!“
Dann ist das Geschäftsmodell nicht nachhaltig. Echter Artenschutz braucht kein Zirkusprogramm. Es gibt weltweit Projekte, die Meeressäuger schützen, ohne sie gefangen zu halten – durch Forschung, politische Arbeit, Aufklärung und Meeresschutzgebiete.
„Das ist emotional und einseitig geschrieben.“
Ja, vielleicht. Aber das Thema ist emotional. Ich habe diesen Artikel geschrieben, weil ich berührt bin – und weil ich glaube, dass Gefühle Teil einer verantwortungsvollen Auseinandersetzung sein dürfen. Die wissenschaftlichen Quellen habe ich trotzdem mitgeliefert.
„Du willst dem Tourismus schaden!“
Ganz im Gegenteil. Ich liebe diese Insel. Ich wünsche mir aber, dass Teneriffa sich in Richtung eines modernen, ethisch reflektierten Tourismus entwickelt. Einer, der auf Naturerlebnis und Nachhaltigkeit setzt – nicht auf Tierleid im Verborgenen.