17/06/2023
Sarahs Duftpflanzen Nr. 27:
Sinnbild der Reinheit des Herzens oder Symbol der Sinnlichkeit?
Die Lilie
„Ich will meine Seele tauchen in den Kelch der Lilie hinein; die Lilie soll klingend hauchen ein Lied von der Liebsten mein. Das Lied soll schauern und beben wie der Kuss von ihrem Mund, den sie mir einst gegeben in wunderbar süßer Stund.“
- Heinrich Heine –
Beim Lesen dieser wunderbaren Zeilen taucht vor unserem inneren Auge sicher das Bild der Madonnenlilie (Lilium candidum) auf, welche mit ihren großen, weißen Trichterblüten seit Urzeiten geliebt und verehrt wird. Die Wildart ist meist noch in Südeuropa und im Orient anzutreffen. Die Kulturpflanze, welche sich kaum von der Wildart unterscheidet, wurde im Laufe der Zeit zum Symbol makelloser Reinheit. Ihr Weiß wurde als Überwindung alles Irdischen aufgefasst. So wurde die Lilie mit der höchsten Reinheit des Herzens und dem Göttlichen in Verbindung gebracht.
Doch nähert man sich dieser Schönheit, kommt man nicht umhin, sie auch als Zeichen einer vertieften Sinnenfreude zu betrachten, denn ihr starker, blumiger Duft wirkt sinnlich-berauschend, ja sogar ein wenig narkotisch. Ich würde den Lilienduft vergleichen mit Blütendüften von Jasmin, Tuberose oder Maiglöckchen. Sie können anregend auf Körper und Geist wirken, doch auch schnell zu viel werden. Das mag am leicht „fäkalen“ Aspekt liegen, der den meisten starken Blütendüften eigen ist. Interessanterweise sind all diese Blüten von einer reinen, weißen und unschuldigen Optik geprägt. Doch hier trügt der Schein…
In der griechischen Mythologie finden wir erste Geschichten über die Lilie. Es wird erzählt, dass diese weißen Blumen aus der Milch der Göttermutter Hera entstanden seien. Der Götterbote Hermes soll einst der schlafenden Hera das Herakles-Kind heimlich an die Brust gelegt haben, um ihm so die Unsterblichkeit zu erschleichen. Dieser saugte die Milch so heftig, dass die Göttermutter erwachte und das Kind erschrocken von sich warf. Doch ihre Milch floss weiter und im Himmel bildete sich die Milchstrasse und auf Erden wuchsen die Lilien aus den göttlichen Milchtropfen.
Die Lilien wurden auch als „Rosen der Juno“ bezeichnet (Juno ist die römische „Hera“…). Lilie und Rosen galten als die Herrscherinnen der Blumenwelt, erhaben und unnahbar die Lilie und weich und verführerisch die Rose.
Doch gab es noch andere Göttinnen und verständlicherweise waren der Aphrodite die Lilien wegen ihrer demonstrativen Reinheit verhasst. So nahm sie der Blüte die Unschuld, indem sie ihr einen Stempel einsetzte, der an den Phallus eines Esels erinnert.
Im Laufe der Jahrhunderte erklärte das Christentum die weiße Madonnenlilie zum Symbol der „unbefleckten Empfängnis“ und so wurde sie zu einer großen Marienblume. Zahlreiche Abbildungen zeigen die Mutter Jesu mit dieser wunderschönen Blüte. Doch eine Blume Marias mit „Esel-Phallus“ passte nicht zum Bild der unschuldigen Symbolik der weißen Blüte und der Gottesmutter. Die Lösung des Problems sehen wir auf Darstellungen der heiligen Maria mit der Lilie. Dieser fehlt fast immer der Stempel, manchmal sind sie sogar ohne Staubgefäße dargestellt.
Nun könnte ich Euch noch viel über die Bedeutung der Lilie im Alten Ägypten berichten. Doch das würde heute den Rahmen sprengen. Davon erzähle ich Euch dann ein anderes Mal...vielleicht, wenn meine Madonnenlilie blüht. Da sie mich dieses Jahr leider nicht mit einer Blüte beehrt hat, zeige ich Euch stattdessen ein Foto meiner Königs-Lilie (Lilium regale). Ich sehe in ihr einen wunderbaren „Ersatz“, denn ihre Schönheit ist nicht minder bezaubernd und ihr Duft nicht weniger berauschend!
Mit dem sinnlichen Aspekt der Lilie möchte ich auch gerne meine heutigen Erzählungen beenden, denn ich empfinde den Duft dieser göttlichen Schönheit als so beeindruckend und aphrodisierend, dass Gedanken an Unschuld und Reinheit einfach nicht aufkommen wollen ;-)
So lest mit einem „Hach“ auf den Lippen die Worte Friedrich Hebbels...
„Wir träumten voneinander und sind davon erwacht. Wir leben, um uns zu lieben, und sinken zurück in die Nacht. Du tratst aus meinem Traume, aus deinem trat ich hervor, wir sterben, wenn sich Eines im andern ganz verlor. Auf einer Lilie zittern zwei Tropfen, rein und rund, zerfließen in Eins und rollen hinab in des Kelches Grund.“
Eure Sarah
Text und Foto: Sarah Schuft
Quellen: Marina Heilmeyer – Die Sprache der Blumen; Plenzat – Duftende Pflanzen in Garten und Haus
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Eure Lilian, Sarah und Wolfgang