
20/10/2023
Es ist schon verrückt, dass im Kinofilm „Oppenheimer“ einfach so dieser Satz fällt:
„In Deutschland haben Hahn und Strassmann das Atom gespalten…“
Das ist faktisch korrekt. Das Fiese daran ist die nonchalante Verkürzung. Denn Otto Hahn und Friedrich Strassmann konnten sich im Dezember 1938 die Ergebnisse ihres Versuches selber nicht erklären. Sie hatten auch gar nicht probiert, einen Uran-Atomkern zu spalten – dass so etwas überhaupt möglich sein könnte, das war für sie unvorstellbar.
Erklärt hat es ihnen eine Frau, und das wird ganz oft einfach ignoriert: Ihre Kollegin Lise Meitner, als jüdische Physikerin 1938 bereits im Exil in Schweden.
Otto Hahn (im Foto mit Meitner) hat sich per Brief an seine Freundin in Stockholm gewandt und sie um Rat gebeten. Sie hat dann aus den übersandten Daten geschlossen, dass beim Versuch in Hahns Labor in Berlin ein Atomkern auseinander geflogen sein muss. Sie hat berechnet, dass dabei 200 Megaelektronenvolt Energie frei wurden. Ungefähr so viel Energie, wie im Spiel ist, wenn eine Schneeflocke Bruchteile eines Zentimeters fällt. Also gaaaaanz wenig. Aber Meitner erkannte auch, dass bei solchen Spaltungen Neutronen freiwerden, die sofort benachbarten Atomkernen ebenfalls spalten können. Eine Kettenreaktion mit gewaltigen Auswirkungen.
Lise Meitner hat es später einen "unglücklichen Zufall" genannt, dass diese Erkenntnisse ausgerechnet wenige Monate vor Ausbruch eines Weltkrieges gelangen – so dass sich die Wissenschaft in allen Ländern erstmal auf die kriegerische Nutzungsmöglichkeit dieser enormen Energiequelle stürzten, und erst später auf die friedliche.
1945 bekam Otto Hahn den Nobelpreis. Er allein. Als er ihn in Stockholm abholte, besuchte er natürlich Lise Meitner, die dort noch immer lebte. Muss eine seltsame Begegnung gewesen sein. Sie hat es geschafft, mit ihrem alten Weggefährten trotzdem weiterhin befreundet zu bleiben.
Wir posten das hier, weil uns diese verrückte Geschichte gerade sehr präsent ist: Unsere aktuelle Folge von "Sag mal, du als Physiker" ist Lise Meitner gewidmet, ihrer Physik, und auch ihrer unglaublichen Biographie. Den Link zur Folge posten wir in den Kommentaren (der Podcast ist allerdings nur für Audible Abonnent*innen kostenlos zu hören)
Was Lise Meitner noch nicht ahnte: Es geht in der Wissenschaft noch schlimmer:
"Francis Crick und James Watson haben die Struktur der DNA entschlüsselt… " – dieser oft gehörte Satz unterschlägt, dass ihre Kollegin Rosalind Franklin diese Leistung erst ermöglicht hatte. In diesem Fall wurde die Forscherin aber von den beiden späteren Wissenschafts-Stars und Nobelpreisträgern sogar aktiv ausgebootet – das zumindest kann man Otto Hahn nicht vorwerfen.