23/04/2025
«Der wahre Star ist der Frauenchor»
Er spielt den legendären Bauernführer Niklaus Leuenberger im Freilichtspiel «Burechrieg». Im Porträt erzählt Fabian Guggisberg (37), wie er sich der historischen Figur genähert hat – und was ihn während der Proben besonders bewegt.
Von Gabriela Graber/PR
«Ich hatte wirklich nicht mehr dran geglaubt, dass das mit dem ‹Bure-chrieg› noch was wird», erzählt der Berner Schauspieler Fabian Guggisberg. «Umso überraschter war ich, als mich die Organisatoren ungefähr vor einem Jahr kontaktierten und meinten: Wir probieren es nochmals! Ich habe mich riesig gefreut.» Inzwischen hat Guggisberg angefangen mit den Proben für das Freilicht-Spektakel, das im Sommer im Spycher Handwerk zur Aufführung kommt. In der Produktion steht er als Niklaus Leuenberger auf der Bühne – die bedeutendste Figur des grössten Volksaufstands der Schweiz.
Ursprünglich war er gar nicht für die Hauptrolle vorgesehen. Vor fünf Jahren war das Projekt bereits angelaufen – mit einem anderen Hauptdarsteller und einem anderen Regisseur. Doch dann kam die Pandemie, der ehemalige Regisseur wurde krank – und das Stück wurde auf Eis gelegt. Als die Idee wieder ins Rollen kam, war die Regie in anderen Händen – und Guggisberg wurde plötzlich Teil davon. «Als klar war, dass Ulrich Eggimann Regie führt, haben wir uns getroffen. Es hat einfach gepasst.»
Eine Figur voller Widersprüche
Für die Vorbereitungen auf die Rolle setzte sich Guggisberg intensiv mit dem Bauernführer Niklaus Leuenberger auseinander. Der Berner stellte schnell fest, dass dieser viel komplexer war, als er zunächst angenommen hatte. «Leuenberger war nicht nur der typisch hitzköpfige Revolutionär, als den man ihn sich vielleicht erst mal vorstellt. Er wird von Historikern sehr unterschiedlich beschrieben. Einige sehen in ihm den charismatischen Redner mit klarer Führung, andere einen Mann, der eigentlich von seiner Rolle überfordert war und gegen seinen Willen zum Anführer gemacht wurde.» Gerade diese Widersprüchlichkeit habe ihn interessiert – und auch herausgefordert. «Eine Figur zu spielen, die nicht eindeutig ist, bedeutet, dass vieles offen bleibt. Und genau darin liegt die Herausforderung – aber auch der Reiz der Rolle für mich als Schauspieler.» Es sei nie sein Ziel gewesen, Leuenberger geschichtsgetreu bis ins kleinste Detail darzustellen. «Das ist schlichtweg nicht möglich, weil er vor fast 400 Jahren gelebt hat. Ich muss meinen eigenen Leuenberger erschaffen.»
Erst durch die Beschäftigung mit der Rolle hat Guggisberg begriffen, wie wichtig der Bauernkrieg für die Geschichte der Schweiz war. Vorher habe er wenig darüber gewusst. «Das ist eigentlich sehr schade – umso mehr, wenn man wie ich aus dem Kanton Bern kommt.» Denn der Bauernkrieg sei in vielerlei Hinsicht ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Bundesverfassung und zur Demokratisierung der Schweiz gewesen. «Und auch heute noch beschäftigen uns die Fragen von Gleichberechtigung und Freiheit, die damals aufgeworfen wurden», so Guggisberg.
Langer Probenprozess
Die Proben für den «Burechrieg» haben bereits im Januar begonnen. Guggisberg ist vor wenigen Wochen dazugestossen. «Der grosse Unterschied zu anderen Theatern ist, dass der ‹Burechrieg› eine riesige Produktion mit fast 100 Personen – die meisten davon Laien – ist und der Probenprozess über sechs Monate dauert. Mit Profis probt man höchstens fünf bis sechs Wochen.» Zu Beginn gehe es darum, dass die Laiendarstellerinnen und -darsteller ein Gefühl für ihre Rolle entwickeln und lernen: Wie sage ich einen Satz? Wie stehe ich richtig? Wie bewege ich mich? «Die Proben sind von einer tollen Energie geprägt. Es ist unglaublich inspirierend, wie die Laienschauspieler ihre eigene Persönlichkeit auf die Bühne bringen. Viele von ihnen haben keine Schauspielerfahrung, aber ihre authentische Art macht das Stück so lebendig.»
Obwohl Guggisberg die Hauptrolle spielt, sieht er im Frauenchor den eigentlichen Star der Produktion. «Der Chor besteht aus vielen Laiensängerinnen aus der Region. Durch ihn kriegen die Frauen dieser Zeit, die sonst bei Darstellungen von Kriegsgeschehen kaum zu Wort kommen, eine Stimme. Das hat eine unglaubliche Kraft.» Besonders die Szenen, in denen die Frauen singen und erzählen, wie sie den Krieg und den Verlust ihrer Männer erleben, berühren Guggisberg zutiefst. «Es war eine Zeit, in der das Leben noch knallhart war. Die Geschichten der Frauen sind teilweise erschütternd. Ich bin mir sicher: Das Publikum wird diesen Mix aus Gesang und Erzählungen nicht so schnell vergessen.»
Der Leidenschaft gefolgt
Guggisberg steht bereits seit 15 Jahren auf der Bühne. Seine Schauspielkarriere begann in der Theatergruppe seines Gymnasiums. «Da habe ich gespürt: Dieser Versuch, gemeinsam in einem Theater für einen Moment eine andere Wirklichkeit zu erschaffen, fasziniert mich und gibt mir viel zurück.» Nach der Matura spielte er weiterhin Theater und bewarb sich gleichzeitig an mehreren Schauspielschulen. «Ich hätte aber nie gedacht, dass ich wirklich einmal Schauspieler werden würde.» Noch heute kämpft er mit dem Gefühl, seine Erfolge nicht wirklich verdient zu haben. Aber das hält ihn nicht davon ab, weiterzuspielen. «Ich bin einfach immer dem gefolgt, was mir im Moment am meisten Spass gemacht hat, und so führte eines zum anderen.»
Publikum trägt Vorstellung mit
In seinen Jahren als Schauspieler ist Guggisberg vor allem auf Theaterbühnen gestanden – etwa am Theater an der Effingerstrasse Bern oder am Konzert Theater Bern. Sporadisch wirkte er auch in Film- und Fernsehproduktionen mit – zuletzt für die Arte und die SRF-Serie «Frieden». «Ob Theater oder Film, die Arbeitsweisen sind ganz unterschiedlich. Jede hat ihre Vor- und Nachteile.» Theater verschaffe ihm eine Unmittelbarkeit und Direktheit mit dem Publikum, die er liebe. «Das Publikum ist sich meist nicht bewusst, wie sehr es eine Vorstellung mitträgt.» Das merke man als Schauspieler, wenn man ein Stück mehrfach spiele – und es immer ein wenig anders ausfalle. «Im Film dagegen kommt die Reaktion viel später – manchmal erst viele Monate nach dem Drehen.» Auch sei die Arbeitsweise fragmentierter. «Der erste Drehtag kann die letzte Szene des Films sein – und das Puzzle setzt sich erst nach langer Zeit zusammen.» Auch müsse die Spielweise im Theater so angepasst werden, dass auch die letzte Reihe im Saal alles mitbekommt. «Man muss mehr geben, deutlicher spielen, lauter reden – insbesondere auf einer grossen Bühne wie der des ‹Burechriegs›.» Im Film sei dagegen das Spiel feiner und zurückgenommener, da Close-ups verwendet werden.
Theater bei fast jedem Wetter
Der «Burechrieg» ist nicht Guggisbergs erstes Freilichtspiel. «Die Freilichtbühne bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Ab Mai werden wir draussen proben. Die Bühne ist – im Gegensatz zum Publikum – nicht überdacht. Natürlich werden wir nicht spielen, wenn es stark regnet oder stürmt, aber bei leichtem Regen oder grosser Hitze werden wir proben und auftreten – und dabei nass werden oder in unseren historischen, dicken Kostümen schwitzen. Das fügt der Geschichte eine Dimension hinzu, die man bei Indoor-Produktionen nie erleben würde», so Guggisberg.
Die Premiere des «Burechriegs» findet am 5. Juli 2025 statt. «Am meisten freue ich mich bei der Premiere auf den ‹Fliege-Moment›, erzählt Guggisberg. «Es ist dieses Gefühl, das entsteht, wenn alle Puzzleteile zusammenkommen – die Kraft des Ensembles, das Publikum, die Bühne. In den nächsten Monaten werden wir als Ensemble zusammen auf eine Reise gehen. Wenn dann all die Anspannung und das Nicht-Wissen hinter uns liegen, die Premiere endlich kommt und wir das Publikum mit unserer Begeisterung für das Stück anstecken können – dieser Moment, in dem alles zusammenkommt und der Zauber des Theaters fliesst, ist für mich eines der schönsten Gefühle überhaupt.»