26/05/2025
Zu Thomas Manns 150. Geburtstag:
Thomas Mann (1875-1955) wandte sich im amerikanischen Exil einem indischen Thema zu. Seiner Erzählung "Die vertauschten Köpfe" (1940) liegt dieselbe grausige Legende zugrunde, die schon Goethe in seinem Paria-Gedicht verwandte. Gemildert wird die krasse Geschichte eines Selbstopfers für die blutdurstige Göttin Kali durch Thomas Manns durchgehend ironisch-distanzierte Erzählhaltung:
"Die Geschichte der schönhüftigen Sita, Tochter des aus Kriegerblut stammenden Kuhzüchters Sumantra, und ihrer beiden Gatten (wenn man so sagen darf) stellt, blutig und sinnverwirrend, wie sie ist, die höchsten Anforderungen an die Seelenstärke des Lauschenden und an sein Vermögen, den grausamen Gaukeleien der Maya des Geistes Spitze zu bieten."
Während Sita eines Tages im Fluss badet, wird sie von zwei jungen Männern beobachtet. Thomas Mann beschreibt genüsslich alle Reize Sitas, die das weibliche Schönheitsideal Indiens perfekt verkörpert. Einer der beiden Männer, der Kaufmann Schridaman, verliebt sich Hals über Kopf in Sita, und seinem Freund, dem Schmied Nanda, gelingt es, die Ehe zu vermitteln. Als Sita nach einem halben Ehejahr schwanger wird, reist sie, begleitet von Schridaman und Nanda, erstmals wieder in ihr Heimatdorf, um die Eltern zu besuchen. Unterwegs halten sie an einem Felsentempel der Kali. Während Sita und Nanda draußen warten, betritt Schridaman den Tempel, ergreift ein dort liegendes Schwert, mit dem er sich, um der Göttin ein Opfer zu bringen, selbst enthauptet. Als Nanda schließlich die Leiche findet, enthauptet auch er sich, um der ihm vermeintlich drohenden Verurteilung als Mörder Schridmans zu entgehen. Sita findet beide tot auf, nun will auch sie ihrem Leben ein Ende setzen und sich an einer Liane erhängen. Doch an diesem Punkt greift die Göttin persönlich ein. Sie ruft Sita zu: „Willst du das wohl augenblicklich sein lassen, du dumme Ziege?“, und fordert sie auf, ihr alle Sünden zu gestehen.
Nun erst erfährt der Leser den Grund von Schridamans Verzweiflungstat: Sita liebte und begehrte nicht ihn, sondern seinen Freund, den attraktiven Nanda. Auf Befehl Kalis muss Sita nun die Körper wieder mit ihren Köpfen zusammenfügen, wobei ihr in der Eile natürlich ein Fehler unterläuft. Schridamans Körper bekommt Nandas Kopf, Nandas Körper den Schridamans. Beide Männer sind sogleich wieder lebendig und damit hoch beglückt, doch die Frage ist nun: Wer ist Sitas Mann? Ein Waldeinsiedler entscheidet: Der mit Schridamans Kopf ist ihr Ehemann. Dass er nun auch Nandas schönen Körper hat, ist Sita umso willkommener. Doch es ergeben sich weitere Verwicklungen …
Thomas Mann lässt in seine frivol-ironische Erzählung Erkenntnisse moderner Tiefenpsychologie über die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche einfließen.