08/08/2025
AUFBRUCH
Start in schweren Zeiten
BERNBURG/AS. Nein, Lorbeeren ernten, war sicher nicht das Ziel von Johanna Engel (Foto), als sie im April den Vorsitz der FDP im Salzlandkreis übernommen hat. Denn schon da zeichnete sich ab, dass die Liberalen zwar auf kommunaler Ebene noch eine kleine Rolle spielen, landes- und bundesweit indes in Umfragen nahezu unsichtbar sind. In Sachsen-Anhalt kommen sie nach einer INSA-Umfrage von Mitte Juni auf zwei Prozent. Weit weg von den etwas über sechs Prozent, mit denen die FDP 2021 in den Landtag einzog und seither mit CDU und SPD die Regierung stellt.
Das Ziel der 27-jährigen Ärztin ist klar. „Wir kämpfen darum, im nächsten September in den Landtag einzuziehen“, sagt Johanna Engel, die in Nienburg aufgewachsen ist, wo ihre Eltern leben und eine Gaststätte betreiben. Momentan habe sie in den ersten Monaten als Vorsitzende erstmal versucht, ihre eigenen Ansprüche zu formulieren. Zudem gab es Organisatorisch zu ordnen und natürlich musste sie mit ihrer Sicht der Dinge „die Liebe zu Neuem wieder erwecken“. Sprich, alte Denkmuster durchbrechen. Wie es ihr gelingt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Doch Johanna Engel kann auf ehemalige Vorsitzende zählen, sagt sie. Was sie allerdings als eines der Ziele für sich auf die Fahnen geschrieben habe, sei, dass man eine eigene Identität brauche als Partei. „Wir müssen uns als Ost-FDP zeigen. Die Probleme hier vor Ort sind unsere Aufgaben, die wir angehen müssen.“ Und das müsse man mit den Menschen vor Ort bereden. „Die Menschen hier ticken anders. Und das ist ihre gutes Recht.“
Dass es nicht einfach wird, die FDP im Land, Johanna Engel ist auch im Landesvorstand, voranzubringen, ist der Direktkandidatin für die Landtagswahl 2021 klar. Doch Verantwortung zu übernehmen, ist ihr nicht fremd. Denn das muss sie als Ärztin in der Neurologie in Magdeburg nahezu täglich. Gerade dieses Verantwortungsgefühl werde der Generation Z, der sie angehört, ja aber häufig abgesprochen. Mit ihrer Generation hadere sie auch, was sie in einem Artikel, der in der schweizerischen „Weltwoche“ erschien, deutlich macht. Sie habe sich im Kreise der Gleichaltrigen oft als Fremdkörper gefühlt. Die Genration Z wuchs auf in Sicherheit und Geborgenheit. Entbehrungen und das Auseinandersetzen mit unbequemen Meinungen waren nicht der Mittelpunkt des Lebens. Besonders in der Corona-Zeit sei das dann sehr deutlich geworden. Ohne großes Nachfragen seien alle eingeleiteten Maßnahmen umgesetzt worden. Das Einschränken der Bürgerrechte inbegriffen. Eine Aufarbeitung der Zeit blieb bisher aus, sei aber notwendig, so Johanna Engel, denn es dürfe nie wieder zu solchen pauschalen Regelungen über längere Zeiträume kommen.
Das alles und auch die Zeiten in Schulinternaten in Halle und Schulpforta sowie das Studium in den alten Bundesländern haben sie doch geprägt. Sie habe schnell eigenständig werden müssen. Eigenständig heiße für sie auch eigenverantwortlich. Und das sei ja schließlich eines der Grundanliegen der FDP. Momentan, sagt die Ärztin, für die bald die Verteidigung ihrer Promotion ansteht, frustriere sie, dass überall falsche Anreize gesetzt würden. „Der Staat lähmt die schöpferische Kraft eines jeden Einzelnen einfach in nahezu allen Lebensbereichen“, ist ihre Meinung. Ob Rente, Diskussion zum Boomer-Soli, bei der Wirtschaft und im gesellschaftlichen Leben. Überall werde rumgeflickt, ohne Mut zu richtigen Reformen. Eine Rente, die aktiengestützt sei, wäre hier eine Variante. In Polen will man darauf setzen. Schweden und die Schweiz machen es schon. Aus der Schweiz könne man auch in Bezug auf das Gesundheitssystem lernen. Hier gebe es eine Basisversorgung, die die Notfälle und Operationen abdecke. Alles andere müsse vom Patienten mitgetragen werden. „Da kommt kein Patient nachts um zwei in die Notaufnahme und möchte wegen Kopfschmerzen eine Tablette“, blickt Johanna Engel auf eine 24-Stunden-Schicht in Magdeburg aus eigenem Erleben zurück.
Erfahrungen, wie es in der Schweiz ist, hat sie im Nachbarland sammeln können.
Der Ausflug war kürzer als geplant und brachte neben dem Einblick in das eidgenössische Gesundheitssystem eine weitere Erkenntnis: „Der Mythos Schweiz wurde entzaubert“, sagt Johanna Engel. Denn bei der Arbeit stellte sie fest, dass sie in punkto Arbeitsweise hier nicht im Traumland war. Wenig Zeit für Patienten, nicht das ihr versprochene Arbeitsfeld, in dem sie forschen sollte, und der Umgang mit den Mitarbeitern seien kein Magnet gewesen, um dort zu bleiben. Sie scheue die Arbeit nicht, aber ein vernünftiger Umgang sei schon wichtig. Geld, so ihr Fazit, mache nicht alles wett.
Doch der Gang in die Schweiz hatte in ihrer Heimat Auswirkungen. Durch das spontane Angebot konnte sie ihr Mandat, das sie für die FDP bei der Wahl zum Stadtrat Nienburg errungen hatte, nicht antreten. Daraufhin gab es Kritik und Enttäuschung. Das sei verständlich, sagt sie und das sei auch im Vorfeld nicht so absehbar gewesen. Andererseits war der Weg in die Schweiz zu diesem Zeitpunkt eine Chance, die man einem jungen Menschen auch zugestehen solle. Nun, so blickt sie voraus, sei sie ganz hier angekommen und wolle sich für Sachsen-Anhalt stark machen. Denn: „Wir haben viel zu bieten. Wir müssen uns nicht verstecken.“