09/07/2025
Wir trauern um Gabrielle Spaeth ...
Darf man über jemanden, der gestorben ist lachen? Schallend lachen? Man darf nicht nur, an muss sogar, hätte Gabrielle Spaeth gesagt. Am 3. Juni ist sie ganz sanft, gerade 86 Jahre alt geworden, in eine andere Welt hinübergeglitten. Und wenn meine Jungs mich zu Weihnachten besuchen, werden wir nach einem „Weißt Du noch, die Spaeth?“ wieder herzlich lachen können. Darüber etwa wie sie ihren japanischen Kleinwagen schrottete, ihn, Bremse und Gas verwechselnd, auf die kleine Brücke am Kurpark setzte. Ihre Erklärung legendär: „Ach wisst ihr, Japaner haben eben kleinere Füße!“
Sie war von besonderer Art. „Na, wieder etwas dem Tode entgegen amüsiert“ pflegte sie mich zu unseren „Lästerstunden“ in ihrer kleinen, mit Bücherkartons, Fotos und Manuskripten vollgestopften Mansardenwohnung in Anspielung auf meinen Lieblingsautor Neil Postman und seinen Bestseller „Wir amüsieren uns zu Tode“ zu begrüßen. „Leibniz Bücherwarte“, so nannte sie ihren am 22.2.1985 gegründeten „Hafen für gute Bücher“ in Bad Münder. Jedes Jahr ein Buch, so ihr Ziel, herausragende Werke wie die von Barbara Brüning, die über das Philosophieren mit Kindern geschrieben hatte, oder ein kleines herausragendes Buch über Leibniz, den sie vergötterte. Und so saßen wir uns bei aufgewärmter Gemüsepfanne, lauem Tee und harten Keksen gegenüber, hier der konservative Reserveoffizier, Hasselmann-Zögling und Geschichtslehrer, sie, die sich als „aus der Welt gefallen“ sah, und mir den Begriff „doppeldeutig“ mit einem verschmitzten „Bring´ doch bitte nachher meinen Müll mit runter“ deutlich machte.
Die 68erin wagte trotz ihres Alters den Einstieg in E-Mails und Excel. „Komm´ mir vor wie Leibniz, ihr wisst, der hat die Rechenmaschine erfunden“, belehrte sie uns. Logik und Lyrik. Und sie pflegte lebenslange Freundschaften, zum Schriftsteller und Übersetzer Harry Rowohlt, aber auch mit Andras Baader hatte sie mehrmals zu tun, wobei sie mindestens einmal mit ihrem Auto angehalten und für Ulrike Meinhof gehalten wurde.
Als gelernte Buchhändlerin waren Bücher ihr Lebenselixier. Als 1981 der hannoversche Schroedel-Verlag in Konkurs ging, ergriff sie die Gelegenheit zur Selbständigkeit, gründete ihre „Bücherwarte“.
„Mach´ Dein Ding“, riet sie mir. „Nein, nicht mittendrin, sondern vom Rande aus, mittendrin verlierst Du die Übersicht, sei nur dabei statt mittendrin!“, so ihre Devise.
Niederlagen, Enttäuschungen? Die zählten für sie nicht. „Großartiges Buch, das bei mir nur auf ein kleines Publikum hoffen darf, Sie brauchen ein Weltpublikum, wenden Sie sich an den Carl Hanser Verlag“, antwortete Gabrielle einem unbekannten schwedischen Autor. Jostein Gaarders „Sophies Welt“ wurde ein Weltbestseller. „Welche Größe, welcher Realitätssinn und welch dienende Bescheidenheit und Moralität liegen in dieser Verzichtsleistung“, beschrieb einer ihrer Freunde diese Entscheidung.
Was sie uns gezeigt hat? Es kommt auf die Haltung an, und auf das mitfühlende Lachen, nie gehässig, immer voll „compassion“, nahe am Menschen, gleich ob zickige Buchhändlerin, salbadernde Seelsorger, selbstverliebte bürgerliche Kunst - und Konzertfreunde, oder Kommunalpolitiker im Kampf um Wählerstimmen und gegen grammatische Klippen. Was haben wir gelacht. „Hinschauen und nah am Menschen bleiben“, so ihr Rat und Trost, wenn die Frustrationsgrenze wieder mal erreicht oder überschritten schien. Ernsthaftigkeit und Tiefe anstreben und immer wieder sich selbst aus dem Fokus nehmen. Und täglich die Werkzeuge, sprich die Vokabeln, polieren. Sie hielt´s mit Hanns Dieter Hüsch, dem schwarzen Schaf vom Niederrhein: „Vokabeln sind wie Freunde, die muss man pflegen, weil sie sich sonst entfernen.“
Jetzt ist sie gegangen, keine Todesanzeige, kein öffentliches Begräbnis, keine Trauerfeier. Seebestattung. Rückkehr in den Kosmos, als eine von Leibniz´ Monaden. Und als Trost für uns aus der Welt Gefallene. „Weißt Du noch die Spaeth?“ wird es Weihnachten wieder heißen, und wir werden lachen und weinen zugleich. Danke Gabrielle und bis bald