16/11/2025
Geschichten aus dem alten Bernau
Der Anzugkauf
Unsere alte Hussitenstadt Bernau war kurz nach 1900 ein verträumtes ruhiges Ackerbürgerstädtchen. August Wernicke war Stadtverordnetenvorsteher und Otto Paetzold schon lange Bürgermeister. Böse Spötter behaupten, beide konnten sich nur halten, weil jeder dem anderen sehr gefällig war und sich keiner daran störte.
Die Menschen waren gottgläubig und die Kirchen voll.
An den Sonntagen kamen die Bauern von den umliegenden Dörfern in die Stadt um einzukaufen. Lange Wagenreihen standen auf dem Marktplatz und die Bauern und das Landvolk verteilten sich in den Geschäften, da ja sonntags auch geöffnet war. Lediglich zum Gottesdienst mussten die Geschäfte geschlossen sein. Doch so genau nahm man das nicht.
So ging unser Wilhelm Wagner in das schon lange bestehende Textilgeschäft in der Breiten Straße um sich für eine bevorstehende Feierlichkeit einen preiswerten schwarzen Anzug zu kaufen.
Herzlich wurde er von dem Geschäftsinhaber begrüßt und ehe man zum Geschäft kam wurde zunächst ein Gläschen getrunken, denn der Weg war ja lang. Das war Sitte und das wusste Wilhelm. Nach einem gemütlichen Austausch von Neuigkeiten wurden ihm einige Anzüge gezeigt. Einer passte nicht, ein anderer war zu teuer und man feilschte um den Preis und die Qualität, da der Anzug ja später von der ganzen Familie abgetragen werden sollte. Das war früher ganz normal und bestimmte Dinge hatten eben ihren Wert.
Doch so richtig entscheiden konnte sich unser Wilhelm nicht. Da bot unser Geschäftsinhaber Wilhelm einen Anzug an, der zwar für einen Kunden reserviert war, aber der Kunde war zurzeit nicht in der Lage zu bezahlen. Er pries die Vorzüge des Anzugs und die Qualität und lobte dieses einmalige Stück. Lustlos zog ihn Wilhelm an aber er passte, wie für ihn angefertigt. Er kontrollierte den Sitz, Schnitt und Verarbeitung. Auch die Taschen der Anzugsjacke wurden geprüft.
Da fühlte unser Wilhelm plötzlich ein großes Geldstück in der linken
Jackentasche. Er ließ sich nichts anmerken und erkannte sofort den Wert des Geldstücks. Na, vielleicht passt er doch nicht, sagte der Geschäftsinhaber und wollte Wilhelm die Jacke wieder ausziehen.
Doch Wilhelm wehrte ab und drehte sich nochmals vor dem Spiegel. Schnell überlegte er den Preis des Anzugs und durch den Abzug des gefundenen Geldstücks, worüber er natürlich nichts sagte, war er sicher, ein gutes Geschäft zu machen. Er äußerte Interesse, zumal es ja ein gutes Stück von hervorragender Qualität sein sollte. Man einigte sich auf den Preis und als der Geschäftsmann ihn einpacken wollte wehrte Wilhelm abermals ab. Nein, nein, ich behalte die Jacke gleich an. Da ich noch ein anderes Geschäft aufsuche muss ich nobel aussehen. Packen sie die alte Jacke ein. Es gab noch eine Zugabe und natürlich ein kleines Gläschen wurde auch noch geleert.
So waren alle zufrieden. Wilhelm für ein gutes Geschäft und der Inhaber für den verkauften Anzug zum Normalpreis.
Text: Horst Werner
Bilder: Bernauer Altstadt Kurier