27/02/2025
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Ich bin grundsätzlich kein Freund von Fahrstühlen. Das liegt nicht an der Technik. Die Technik ist okay. Ich finde es halt nur verstörend, mich in eine kleine Kabine einzusperren, um dann auf Knopfdruck zu einem anderen Stockwerk geschossen zu werden – in einer Blechbüchse, die exakt so sicher wirkt wie ein Trampolin auf einer Baustelle.
Aber gut. Manchmal muss man.
Ich stand also vor einem Fahrstuhl, weil ich in den sechsten Stock musste und nicht genug Lust hatte, mir die Tagesform meiner Knie zu ruinieren. Neben mir ein Typ in einem Anzug, der aussah, als wäre er der Pressesprecher von Immobilienhaien oder als würde er Leute über den Tisch ziehen, die denken, „ETF“ sei ein neuer Energy-Drink.
Der Fahrstuhl kam an. Die Tür ging auf. Wir traten ein.
Es roch nach einer Mischung aus Pfefferminz, Angstschweiß und leichtem Knoblauch – also nach Leben.
Ich drückte die 6, er die 4.
Dann begann die große Fahrt.
Bis zur zweiten Etage lief es gut. Dann stoppte der Fahrstuhl. Die Tür ging auf. Eine ältere Dame trat ein, die so klein war, dass ich instinktiv auf ihre Hände schaute, ob sie vielleicht einen magischen Ring hatte.
Sie drückte auf die 5. Die Tür schloss sich.
Plötzlich sagte der Anzugtyp: „Ich finde, man sollte die Steuer auf Bücher erhöhen.“
Ich sah ihn an.
Warum? Warum sagt man sowas? Warum kann man nicht einfach schweigen, so wie es von Fahrstuhlfahrern seit Jahrhunderten erwartet wird?
Die ältere Dame schaute ihn an, als hätte er gerade vorgeschlagen, alle Rentner einzuschläfern.
„Wie bitte?“ fragte sie.
„Na ja, Bücher sind ein Luxusgut“, sagte er.
Ich konnte förmlich spüren, wie die Luft im Fahrstuhl schwerer wurde. Ich bin kein aggressiver Mensch. Aber da hatte ich kurz die Idee, den Nothalt zu drücken und den Typen so lange in diesem Aufzug einzuschließen, bis er sich von Dostojewski bis Dan Brown durchgelesen hatte.
Die ältere Dame schaute ihn weiter an. Dann sagte sie: „Für sie ist denken schon ein Luxusgut.“
Die Tür öffnete sich in der vierten Etage. Der Typ ging. Wahrscheinlich in sein Büro, wo er überlegte, wie man Sauerstoff besteuern kann.
Die Tür schloss sich.
Es wurde still.
Ich schaute die Dame an und sagte: „Ich glaube, sie sind mein neuer Lieblingsmensch.“
Sie grinste.
Gruß, Euer Tim
# ̈cherliebe