
19/07/2025
Konsequent
Hanaus Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri ist offensichtlich genervt. Damit steht er nicht allein. Ähnlich geht es vielen Bürgerinnen und Bürgern in der Stadt und im ganzen Land. Der Grund: Die entgegen allen Beteuerungen weiterhin wuchernde Bürokratie und Regelungsflut, die dieses Land lähmt und immer weniger handlungsfähig macht. Aktuell hat sich Bieri in einer Pressemitteilung hinter den Vorstoß des Städte- und Gemeindebundes gestellt, die aufwändige Einzelfallprüfung in der Sozialhilfe durch pauschalisierte Leistungen zu ersetzen. Und zudem hat er die Umsetzung der Empfehlungen der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ unterstützt, die in dieser Woche ihren Abschlussbericht dem Bundespräsidenten vorgelegt hat.
Die Probleme, die Bürger, große und kleine Unternehmen und schließlich auch die Kommunen belasten, nerven und behindern, sind seit langem bekannt. Ein Dschungel aus immer neuen Gesetzen, Vorschriften, kleinteiligen Ausführungsbestimmungen und unsinnigen Dokumentationspflichten sorgt dafür, dass Unsinniges erledigt werden muss und wichtige Arbeit liegen bleibt. Von der deutschen Steuergesetzgebung ganz zu schweigen, in deren Dickicht sich der Normalbürger schnell verfangen kann und die zugleich genügend Schlupflöcher für die Cleveren und die Betrüger bietet.
Mehr als 50 Experten der Initiative unter Leitung der Managerin Julia Jäkel, des ehemaligen Verfassungsrichters Andreas Voßkuhle und den früheren Spitzenpolitikern Thomas de Maizière und Peer Steinbrück haben zahlreiche Handlungsempfehlungen zusammengestellt, die das Staatsschiff wieder auf Kurs bringen sollen. Unter anderem wurden als Kernprobleme analysiert, das Abstimmungsprozesse zu kompliziert sind, wenig darüber nachgedacht wird, welche Wirkungen Gesetze entfalten und auch nicht nachverfolgt wird, ob sie überhaupt eine Wirkung haben und dass die Ressourcen des Staates nicht effizient genug eingesetzt werden. Wer wollte dem widersprechen? Ein Beispiel dafür sind auch die Sozialleistungen, von denen viel zu viel der finanziellen Mittel für die aufwändige Verwaltung ausgegeben werden und viel zu wenig bei den eigentlich Bedürftigen ankommt. Dass sich Hanaus Bürgermeister hier besonders engagiert, hat einen triftigen Grund. Mit der Kreisfreiheit per 1. Januar 2026 ist die Brüder-Grimm-Stadt für diesen Bereich zuständig. Die Kosten für den Verwaltungsaufwand und die Tatsache, dass sich das Land aktuell bei den entsprechenden Zuschüssen halsstarrig zeigt, drohen einen erheblichen Teil der Mittel aufzufressen, die Hanau durch den Wegfall der Kreisumlage einspart. Es geht also nicht nur um ausufernde Verwaltung, sondern auch schlichtweg um das Verbrennen von Geld.
Die Sozialbürokratie ist nur eines von vielen Beispielen, in denen sich diese Land selbst die Luft abschnürt. Das lässt sich auch nicht allein durch das so oft propagierte Allheilmittel der Digitalisierung lösen. Was vor allem nötig ist, ist ein Mentalitätswechsel. Der Staat muss aufhören, seine Bürger wahlweise als potenzielle Betrüger oder zu bevormundende Kinder zu behandeln. Auf der anderen Seite müssen auch Bürger und Medien aufhören, immer nach dem Staat und neuen Gesetzen zu schreien, wenn im Einzelfall mal etwas nicht so läuft wie gewünscht.
Ob Deutschland es wirklich schafft, sich aus dem Bürokratiedschungel zu befreien, ob die Empfehlungen der Initiative wirklich auf fruchtbaren Boden fallen und ob Karsten Wildberger, Chef des neuen Ministeriums für Staatsmodernisierung, wirklich durchhält, bleibt abzuwarten. Die bisherigen Erfahrungen beim Bürokratieabbau geben jedenfalls wenig Anlass zum Optimismus.
Was es bei alldem aber auch braucht, ist das Engagement der Bürger und auch der Kommunen, die nicht aufhören dürfen, Missstände anzuprangern und sich auch mutig gegen Übergriffigkeiten des Staates und Behördenarroganz zu stellen. Insofern ist auch die Ankündigung von Bieri konsequent, gegen die Entscheidungen des Statistischen Landesamtes zu klagen, das die Stadt Hanau künstlich um tausende Bürger, und damit um Millionen Fördermittel schrumpfen ließ.
Sich nicht alles von der „Obrigkeit“ gefallen zu lassen, steht dabei in einer guten Hanauer Tradition, bis hin zu Hanaus größten Söhnen, den Brüdern Grimm, die sich mutig gegen den hannoverschen König stellten, als der die Verfassung aushebelte. Insofern sind die Forderungen aus dem Hanauer Rathaus in Sachen Sozialhilfe ebenso wie die Klage gegen das Land vor allem eins: mutig, konsequent und richtig.
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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit über 25 Jahren präsent.