29/11/2025
Abwarten
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging von dem Oberbürgermeister Claus Kaminsky, auf das alle Welt wissen solle, dass der Hanauer Weihnachtsmarkt nie und nimmer nicht vor dem Totensonntage seine Tore öffnen werde. Auf dass die Freude über das bevorstehende Fest des Lebens nicht das Gedenken an die Verstorbenen überlagern und verdrängen solle.
So könnte man vielleicht die berühmte Weihnachtsgeschichte aus dem Evangelium des Lukas neu schreiben, wenn man das standhafte Verhalten in Hanau schildern wollte. Wobei es natürlich fern liegt, den damals anordnenden römischen Kaiser Gaius Octavius mit Claus Kaminsky gleichzusetzen. Immerhin gibt es Historiker, die diesen erfolgreichsten römischen Kaiser als das größte politische Genie der Weltgeschichte bezeichnen. Obwohl, eigentlich…na ja, lassen wir das.
Fakt ist jedenfalls, dass Hanaus OB in Sachen Weihnachtsmarkt seit Jahren standhaft bleibt. Obwohl immer wieder mal eine frühere Öffnung des Marktes gefordert wird. Und auch immer mehr Städte bereits Wochen vor dem ersten Advent die Tore öffnen. In Darmstadt, Rüdesheim, Fulda und anderen Kommunen glühen schon lange die Glühweinkocher und brutzeln die Reibekuchen, während die Hanauerinnen und Hanauer noch auf diese Genüsse bis zum vergangenen Montag warten mussten. Es scheint aber, dass die Bürger der Brüder-Grimm-Stadt mit diesem „Abwarten“ durchaus klarkommen, denn Proteste gegen diese seit Jahren geübte Anordnung aus dem Rathaus gibt es kaum. Und das ist auch gut so.
Immer mehr wird der „Advent“, was übersetzt „Ankunft“ heißt und auf die Geburt Christi verweist, ausgedehnt und damit die Vorfreude auf das Weihnachtsfest verwässert. An Lebkuchen und Spekulatius bereits im Spätsommer in den Supermärkten hat man sich ja wohl oder übel mittlerweile gewöhnt. Ganz offensichtlich werden aber auch die Weihnachtsdekos immer früher installiert, Weihnachtsstorys im Fernsehen immer früher gesendet und zigmal wiederholt. War der „Kleine Lord“ früher noch ein Familienereignis, wird er heute – ähnlich wie „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ – permanent gesendet und ist jederzeit in der Mediathek abrufbar.
Eine „Vorfreude“, die sich endlos ausdehnt, ist aber keine echte Vorfreude mehr. Und die wochenlange Dauerbeschallung mit Weihnachtsmusik in Kaufhäusern und im Radio erzeugt keine Stimmung, sondern nervt einfach. Insofern ist es gut, dass der Hanauer Weihnachtsmarkt eine zeitliche Begrenzung hat, etwas Besonderes im Jahreslauf bleibt, und die Atmosphäre bewahrt, statt sie belanglos werden zu lassen.
Zudem ist die Stimmung auf den Weihnachtsmärkten im Land nicht völlig ungetrübt. Angesichts der massiven Sicherheitsmaßnahmen, Pollern, Absperrungen und zusätzlichen Polizeistreifen dürfte auch dem Letzten klar werden, was der Bundeskanzler mit dem „Stadtbild“ gemeint hat. Einige Märkte wurden sogar abgesagt, weil die Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr finanzierbar sind. Hoffen wir alle, dass es friedlich zugeht und uns Schreckensmeldungen erspart bleiben.
Und natürlich können auch die Preise angesichts der Inflation aufs Gemüt schlagen. Für eine Familie mit Kindern wird der Besuch zu einem teuren Vergnügen, für die alleinerziehende Verkäuferin mit ihrem kleinen Sohn nahezu unerschwinglich. Eine Krakauer für sechs Euro ist schon eine Hausnummer. Dabei sind die Hanauer noch gut dran. In Deutschlands heimlicher Weihnachtsmarkthauptstadt Köln, wo auf nahezu jedem Platz zum weihnachtlichen Vergnügen geladen wird, werden für die Wurst schon sieben Euro aufgerufen. Was aber die zehntausenden Touristen aus Holland und Belgien oder von der anderen Seite des Kanals nicht stört, wenn erstmal Glühwein und Kölsch gezündet haben. Diejenigen, die sich das Vergnügen leisten können, sollten deshalb auf dem Hanauer Markt zumindest einen Abstecher zum Suppenstand der Serviceclubs machen, wo für soziale Zwecke gekocht wird. Oder im Stadthof am Weihnachtsbaum einen Zettel aussuchen und damit einem Kind aus dem Albert-Schweitzer-Kinderdorf einen Wunsch erfüllen. Das ist zwar keine Lösung des gesamten Problems, aber wenigstens eine kleine Hilfe. Und immerhin gibt es ja auch noch preiswertere Märkte in den Stadtteilen oder von Vereinen, die klein, aber fein und anheimelnd sind.
Bei all dem Trubel, bei all der Kommerzialisierung und auch bei manchen Sorgen und Befürchtungen sollten wir aber eins nicht vergessen: Das besinnliche Abwarten auf ein Ereignis, das – egal ob man daran glaubt oder nicht – die Welt verändert hat.
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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.