Hanauer Bote

Hanauer Bote Das wöchentliche Mitteilungsblatt für die Stadt Hanau Auch über konstruktive Kritik zu unserer Arbeit freuen wir uns. Ihre Beiträge entfernen wir zeitnah.

Seit 1992 informiert der Hanauer Bote jeden Mittwoch kostenlos über das Geschehen in der Brüder-Grimm-Stadt. Mit einer Auflage von rund 39.000 Exemplaren erreicht der Bote flächendeckend alle Haushalte in Hanau. „Zeitung für alle“ ist seit jeher das Credo des Boten, seit die erste Ausgabe Anfang der 70er Jahre erschien. Ursprünglich ein Medium für öffentliche Bekanntmachungen und Mitteilungen der

Gemeinden, entwickelte sich der Bote schnell zur geschätzten Plattform für regionale Vereine, um über ihre Arbeit und ihre Veranstaltungen zu berichten. Inzwischen erscheint die Gesamtausgabe, der Mittelhessen-Bote, in einer Auflage von mehr als 325.000 Exemplaren. Ohne das eigentliche Konzept, Partner der Vereine zu sein, verlassen zu haben, berichtet der Hanauer Bote inzwischen selbst aktiv über Ereignisse aus der Region: Spannende Reportagen, das Leben in den Vereinen, aber auch kritische Töne zum politischen Geschehen gehören inzwischen zum inhaltlichen Erscheinungsbild des Hanauer Boten - einmal die Woche kostenfrei in jedem Haushalt. Spielregeln:
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KonsequentHanaus Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri ist offensichtlich genervt. Damit steht er nicht allein. Ähnlich geh...
19/07/2025

Konsequent

Hanaus Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri ist offensichtlich genervt. Damit steht er nicht allein. Ähnlich geht es vielen Bürgerinnen und Bürgern in der Stadt und im ganzen Land. Der Grund: Die entgegen allen Beteuerungen weiterhin wuchernde Bürokratie und Regelungsflut, die dieses Land lähmt und immer weniger handlungsfähig macht. Aktuell hat sich Bieri in einer Pressemitteilung hinter den Vorstoß des Städte- und Gemeindebundes gestellt, die aufwändige Einzelfallprüfung in der Sozialhilfe durch pauschalisierte Leistungen zu ersetzen. Und zudem hat er die Umsetzung der Empfehlungen der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ unterstützt, die in dieser Woche ihren Abschlussbericht dem Bundespräsidenten vorgelegt hat.
Die Probleme, die Bürger, große und kleine Unternehmen und schließlich auch die Kommunen belasten, nerven und behindern, sind seit langem bekannt. Ein Dschungel aus immer neuen Gesetzen, Vorschriften, kleinteiligen Ausführungsbestimmungen und unsinnigen Dokumentationspflichten sorgt dafür, dass Unsinniges erledigt werden muss und wichtige Arbeit liegen bleibt. Von der deutschen Steuergesetzgebung ganz zu schweigen, in deren Dickicht sich der Normalbürger schnell verfangen kann und die zugleich genügend Schlupflöcher für die Cleveren und die Betrüger bietet.
Mehr als 50 Experten der Initiative unter Leitung der Managerin Julia Jäkel, des ehemaligen Verfassungsrichters Andreas Voßkuhle und den früheren Spitzenpolitikern Thomas de Maizière und Peer Steinbrück haben zahlreiche Handlungsempfehlungen zusammengestellt, die das Staatsschiff wieder auf Kurs bringen sollen. Unter anderem wurden als Kernprobleme analysiert, das Abstimmungsprozesse zu kompliziert sind, wenig darüber nachgedacht wird, welche Wirkungen Gesetze entfalten und auch nicht nachverfolgt wird, ob sie überhaupt eine Wirkung haben und dass die Ressourcen des Staates nicht effizient genug eingesetzt werden. Wer wollte dem widersprechen? Ein Beispiel dafür sind auch die Sozialleistungen, von denen viel zu viel der finanziellen Mittel für die aufwändige Verwaltung ausgegeben werden und viel zu wenig bei den eigentlich Bedürftigen ankommt. Dass sich Hanaus Bürgermeister hier besonders engagiert, hat einen triftigen Grund. Mit der Kreisfreiheit per 1. Januar 2026 ist die Brüder-Grimm-Stadt für diesen Bereich zuständig. Die Kosten für den Verwaltungsaufwand und die Tatsache, dass sich das Land aktuell bei den entsprechenden Zuschüssen halsstarrig zeigt, drohen einen erheblichen Teil der Mittel aufzufressen, die Hanau durch den Wegfall der Kreisumlage einspart. Es geht also nicht nur um ausufernde Verwaltung, sondern auch schlichtweg um das Verbrennen von Geld.
Die Sozialbürokratie ist nur eines von vielen Beispielen, in denen sich diese Land selbst die Luft abschnürt. Das lässt sich auch nicht allein durch das so oft propagierte Allheilmittel der Digitalisierung lösen. Was vor allem nötig ist, ist ein Mentalitätswechsel. Der Staat muss aufhören, seine Bürger wahlweise als potenzielle Betrüger oder zu bevormundende Kinder zu behandeln. Auf der anderen Seite müssen auch Bürger und Medien aufhören, immer nach dem Staat und neuen Gesetzen zu schreien, wenn im Einzelfall mal etwas nicht so läuft wie gewünscht.
Ob Deutschland es wirklich schafft, sich aus dem Bürokratiedschungel zu befreien, ob die Empfehlungen der Initiative wirklich auf fruchtbaren Boden fallen und ob Karsten Wildberger, Chef des neuen Ministeriums für Staatsmodernisierung, wirklich durchhält, bleibt abzuwarten. Die bisherigen Erfahrungen beim Bürokratieabbau geben jedenfalls wenig Anlass zum Optimismus.
Was es bei alldem aber auch braucht, ist das Engagement der Bürger und auch der Kommunen, die nicht aufhören dürfen, Missstände anzuprangern und sich auch mutig gegen Übergriffigkeiten des Staates und Behördenarroganz zu stellen. Insofern ist auch die Ankündigung von Bieri konsequent, gegen die Entscheidungen des Statistischen Landesamtes zu klagen, das die Stadt Hanau künstlich um tausende Bürger, und damit um Millionen Fördermittel schrumpfen ließ.
Sich nicht alles von der „Obrigkeit“ gefallen zu lassen, steht dabei in einer guten Hanauer Tradition, bis hin zu Hanaus größten Söhnen, den Brüdern Grimm, die sich mutig gegen den hannoverschen König stellten, als der die Verfassung aushebelte. Insofern sind die Forderungen aus dem Hanauer Rathaus in Sachen Sozialhilfe ebenso wie die Klage gegen das Land vor allem eins: mutig, konsequent und richtig.
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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit über 25 Jahren präsent.

KreideHanauer kennen die Geschichte natürlich. Vom Wolf und den sieben Geißlein. Und wie der Bösewicht die Zicklein in d...
12/07/2025

Kreide

Hanauer kennen die Geschichte natürlich. Vom Wolf und den sieben Geißlein. Und wie der Bösewicht die Zicklein in die Irre geführt hat, in dem er Kreide fraß. Dadurch wurde seine raue und bösartige Stimme sanft und zart und so konnte er – samt gepuderter Pfote – die Gutgläubigen täuschen. Wie so viele Teile der Geschichten, die von den Hanauer Brüdern veröffentlicht wurden und ihren Siegeszug durch die Welt angetreten haben, ist auch aus dieser „Wolfsaktion“ ein geflügeltes Wort und eine Beschreibung geworden, die bis auf den heutigen Tag aktuell ist und angewandt wird. Wer seine bisher radikale Kommunikation ändert, sanfter und freundlicher wird und so seine wahren Absichten verbergen will, der hat sprichwörtlich „Kreide gefressen“.
Ein aktuelles Beispiel bietet sich derzeit in der deutschen Politik. Konkret bei der AfD. Auf der Klausurtagung hat die Bundestagsfraktion einen Verhaltenskodex beschlossen, der ihr weniger Ordnungsrufe durch das Präsidium und mehr Sympathien in der Wählerschaft bringen soll. Schluss mit dem Gepolter, Schluss mit den Attacken unter der Gürtellinie, Nadelstreifen statt Bomberjacke.
Für die Parteien der Mitte kann diese neue Taktik durchaus problematisch werden. Nachdem die AfD am radikalen Rand nicht zuletzt durch ihre massiven Social-Media-Aktivitäten so ziemlich alles eingefangen hat, was möglich war, zielt sie nun auf eine weitere Wählergruppe. Nämlich diejenigen Bürger, die sich mit vielen politischen Zielen der Partei durchaus anfreunden können, bisher aber vom prolligen Auftreten mancher Mandatsträger abgestoßen wurden. Schläge unter die Gürtellinie, unqualifizierte Zwischenrufe, Krakeelen und Gejohle soll es künftig im Bundestag nicht mehr geben. Das Image der Schmuddelkinder will man den Linken mit ihrer hippen, gehypten aber auch gewöhnungsbedürftigen Fraktionschefin Reichinnek überlassen.
Ob die AfD das vornehme Image durchhalten kann, wird man sehen. Auch bei noch so vielen Kreideportionen und guten Absichten: Höcke bleibt Höcke und Krah bleibt Krah. Für die Parteien der Mitte, von der AfD gern als „Systemparteien“ diskreditiert, dürfte es trotzdem noch schwieriger werden, die Wählerzahl der Alternativen zu reduzieren.
Fakt ist, dass die bisherigen Strategien nichts gebracht haben. Trotz widerlicher Aussagen verschiedener AfD‘ler, von denen sich die Partei nur halbherzig bis gar nicht distanziert, hilft es nicht, alle Mitglieder und erst recht nicht alle Wähler der Partei pauschal als N***s zu beschimpfen. Und es hilft auch nichts, die Probleme, die von der AfD angesprochen werden, zu diskreditieren oder gar zu negieren. Denn oftmals sind das Themen, die viele Menschen bewegen. Mehr jedenfalls als sexuelle Selbstbestimmung, vermeintlich politisch korrekte Wortwahl oder die Cannabis-Freigabe. Und erst recht hilft kein Parteiverbot, wie jetzt auf dem SPD-Bundesparteitag gefordert wurde. Abgesehen davon, dass die Hürden für solch ein Verbot zu Recht sehr hoch sind – mit dem Abschaffen einer Partei ist weder deren Gedankengut noch deren Anhängerschaft aus der Welt.
Helfen kann nur eine Politik, die sich nicht nur um die Probleme der Minderheiten, sondern auch der Mehrheit kümmert. Die SPD deklamiert das zwar für sich, hat auf ihrem Parteitag, der offenbar vor allem dem eigenen Seelenheil galt, jedoch wenig Konkretes dazu verlauten lassen. Da sind die Grünen schon ein Stück weiter, wie das aktuelle Strategiepapier beweist. Man solle keine aufgeregte Diskussionen mehr über den Verzicht der Familienministerin auf das Gendersternchen führen, sondern lieber zum Beispiel über die tatsächlichen Probleme alleinerziehender Mütter, meinte die Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. Recht so. Und die Linke hat mit ihrem – zumindest verbalen – Verzicht auf woke Themen und die Konzentration auf soziale Ungerechtigkeiten, Wohnungsnot und Inflation gezeigt, wie man aus dem Umfragetief wieder herauskommt. Da sollte sich die darbende SPD mal eine Scheibe abschneiden.
Fakt ist: Mit Verboten oder der Nazi-Keule wird man der AfD nicht beikommen können, schon gar nicht, wenn sie sich jetzt ganz gesittet aufführen sollte. Aus dem Druck der Ränder auf die Mitte, der schon jetzt viele Probleme bereitet – siehe etwa aktuell die Besetzung des Bundesverfassungsgerichtes – kann man sich nur befreien, wenn man eine Politik für die Mehrheit macht oder sie zumindest so erklärt, dass die Mehrheit sie akzeptieren kann. Wer die Mitte stärken will, muss die Mitte stärken.
Und nicht vergessen: Kreide verändert vielleicht die Stimme, aber nicht den Charakter.

Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

PollerSatte 700.000 Euro will sie ausgeben, Hanaus Stadträtin Isabelle Hemsley. Im Grunde aus dem Fenster schmeißen. Für...
05/07/2025

Poller

Satte 700.000 Euro will sie ausgeben, Hanaus Stadträtin Isabelle Hemsley. Im Grunde aus dem Fenster schmeißen. Für etwas, das eigentlich unnötig wäre. Dennoch wird die große Mehrheit der Hanauerinnen und Hanauer diese Ausgabe begrüßen. Denn es geht um ihre Sicherheit. Das Ärgerliche daran ist nur, dass wieder einmal eine verschwindende Minderheit die übergroße Mehrheit dazu zwingt, Geld auszugeben, das eigentlich dringend an anderer Stelle gebraucht würde.
Richtig, es geht um die geplanten zusätzlichen Poller in der Innenstadt, die vor Rasern und anderen Irren schützen sollen. Zweifellos begrüßenswert, dass die Stadträtin als Ordnungsdezernentin sich um diese Fragen kümmert. Und wahrscheinlich sind die versenkbaren Poller, die einerseits Hirnis stoppen, andererseits aber abgesenkt werden können, wenn Rettungswagen oder die Feuerwehr durch müssen, die technisch beste Lösung, wie bereits deren Einsatz am Marktplatz zeigt. Allerdings sind sie eben auch sehr teuer.
Dass die Stadträtin und das Rathaus nicht die Augen vor diesem zunehmenden Problem verschließen und handeln, ist richtig. Hier geht es schließlich nicht nur um ein Ärgernis, sondern um eine echte Gefahr, wie immer wieder Unfälle – auch mit tödlichem Ausgang – im ganzen Land zeigen.
So notwendig derartige Maßnahmen also sind, so ärgerlich sind sie aber auch. Schließlich muss hier dringend an anderen Stellen benötigtes Geld ausgegeben werden, nur weil eine Minderheit meint, ihre Marotten zu Lasten der Mehrheit ausleben zu dürfen, ja andere sogar zu gefährden. Denn angesichts von Millionen vernünftiger Autofahrer ist die Zahl der Raser ja nun einmal äußerst gering. Aber halt auch nervend und vor allem äußerst gefährlich. Die Polleranlagen bieten – zumindest für ihren Straßenabschnitt – quasi hundertprozentige Sicherheit. Aber man kann weder die ganze Innenstadt verpollern, noch an jede Ecke Tag und Nacht einen Streifenwagen stellen.
So stellt sich also zwangsläufig die Frage, welche weiteren Maßnahmen es geben kann, um die Gefahren zu reduzieren. Da komme man jetzt aber nicht mit Prävention, Aufklärung und Erziehung. Eine 20-jährige testosterongesteuerte und zum Macho erzogene Dumpfbacke wird man mit diesen Mitteln wohl kaum mehr eines Besseren belehren können. Bleibt in einem Rechtsstaat also nur das Mittel der Strafe, die ja nicht nur als Sühne, sondern auch als Abschreckung dienen soll. Es ist deshalb gut, wenn Gerichte diese Delikte nicht mehr als quasi Ordnungswidrigkeiten einstufen, sondern als das, was sie sind: Gefährdung von Menschen, fahrlässiger Totschlag, gar Mord. Allerdings irritieren bisweilen auch Urteile, wie kürzlich in Gießen, wo ein Raser einen Mann totgefahren hat und mit einer Gefängnisstrafe von unter zwei Jahren davongekommen ist, die zudem noch zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Bleibt ein Mittel, dass diese Asozialen da trifft, wo es ihnen am meisten wehtut: Führerscheinentzug und Beschlagnahme des Autos. Allerdings haben auch diese Mittel ihre Grenzen. Echte Führerscheine kann man heutzutage auf dem Schwarzmarkt bekommen, wie kürzlich eine Fernsehreportage über Clankriminalität gezeigt hat – und die sind nicht teurer als eine Führerscheinprüfung. Und das Mittel der Fahrzeugwegnahme funktioniert da nicht, wo das Auto vom Raser nur für das Wochenende angemietet wurde, um zumindest an diesen Tagen seine offensichtlichen Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren.
Insofern sind Maßnahmen wie die Polleranlagen zugegeben die Ultima Ratio. Aber sie haben neben nicht nur einen Sicherheitsaspekt, sondern auch einen gesellschaftspolitischen. Sie zeigen, dass die staatlichen Organe das Problem nicht auf die leichte Schulter nehmen oder ihm gleichgültig gegenüberstehen. Ein Eindruck, der in den letzten Jahren oft entstehen konnte und fatal für die Gesellschaft und die Akzeptanz des Staates, ja letztlich der Demokratie ist. Insofern sind die Maßnahmen des Hanauer Rathauses – so ärgerlich die Geldausgabe auch sein mag – vernünftig, sinnvoll und können nur begrüßt werden.
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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

MaskeradeRiesenskandal, Superskandal, Ungeheuerlichkeit, Rücktritt erforderlich – Teile der Politik überschlagen sich fa...
28/06/2025

Maskerade

Riesenskandal, Superskandal, Ungeheuerlichkeit, Rücktritt erforderlich – Teile der Politik überschlagen sich fast, wenn es um den ehemaligen Gesundheitsminister und jetzigen CDU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn geht. Grundlage ist ein „Sonderbericht“ der lange unter Verschluss gehalten wurde und in dieser Woche, wenn auch in Teilen aus Datenschutzgründen geschwärzt, endlich dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses übermittelt wurde. Bei dem „Skandal“ geht es um Maskenkäufe während der Corona-Pandemie, wo angeblich Vergaberichtlinien nicht eingehalten wurden. Das Geschrei um den vermeintlichen Maskenskandal könnte man aber auch als Maskerade bewerten, die vom eigentlichen, dem wirklich großen Skandal nur ablenken soll.
Zuerst aber zum „Sonderbericht“, der, obwohl bisher nur Einzelteile durchgestochen wurden, so einige Fragen aufwirft. Interessant ist zum Beispiel, dass der Bericht im Auftrag des Spahn-Nachfolgers und Sozialdemokraten Lauterbach von einer Staatssekretärin – ebenfalls Sozialdemokratin – erstellt wurde. Und zwar zu einer Zeit, als sich Union und SPD noch spinnefeind waren und klar war, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl die Hauptgegner sein werden. Inzwischen sind sie bekanntlich beste Freunde und Koalitionspartner, was vielleicht erklärt, weshalb sich die SPD aktuell mit Vorwürfen gegen Spahn auffallend zurückhält. Befremdlich auch, dass Spahn selbst bei dieser „Untersuchung“ keine Rolle gespielt hat, er zu keinem der Vorwürfe befragt wurde und Stellung nehmen konnte. Stattdessen wurde er mit vagen Vorwürfen überhäuft, ohne, dass man ihm den Bericht überhaupt zum Lesen gab. So geht man im Rechtsstaat nicht mal mit einem Angeklagten um. Und man darf vielleicht auch darauf hinweisen, dass die Justiz – im Gegensatz etwa zu den Maskenskandalen in Bayern – bisher keinen Anlass gesehen hat, gegen den Politiker zu ermitteln. Zweifellos hat auch Spahn – wie so viele – in der Coronazeit Fehler gemacht. Ob diese aber wirklich schwerwiegend oder gar justitiabel sind, wird sich erst zeigen, wenn alles auf den Tisch kommt und auch der „Beschuldigte“ das Recht hat, sich zu den einzelnen Vorwürfen zu erklären. Schließlich leben wir immer noch in einem Rechtsstaat.
Das Theater um den ominösen Sonderbericht verdeckt aber den eigentlichen Skandal, der seit langem schwelt und viel weitreichendere Folgen hat. Die Tatsache nämlich, dass fast drei Jahre nach dem Ende der Pandemie keine grundlegende und umfassende Aufarbeitung dieser Zeit stattgefunden hat. Keine der Parteien hat sich wirklich darum gekümmert. Nicht einmal die Linke, die jetzt in Sachen Spahn so lauthals trommelt. Vielleicht, weil ja auch sie – etwa durch die Regierung in Thüringen – an den Entscheidungen beteiligt war. Erinnern wir uns: In der Pandemie wurden Grund- und Freiheitsrechte der Menschen eingeschränkt und außer Kraft gesetzt, wie es das zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben hat. Die Aufarbeitung hat man den Gerichten überlassen, die inzwischen mehrfach eine Übergriffigkeit der Exekutive und Verletzungen der Verfassung festgestellt haben. Wie zum Beispiel erst vor zwei Wochen der sächsische Verfassungsgerichtshof.
Dabei wäre eine umfassende Aufarbeitung und Analyse so wichtig. Nicht um gegenseitige Schuldzuweisungen politisch auszuschlachten, sondern um Lehren für eine künftige Pandemie, die durchaus wahrscheinlich ist, zu ziehen. Zum einen, um zu verhindern, dass eine Exekutive, ob aus guter Absicht oder bloßem Machtstreben, erneut über das Ziel hinausschießt. Und zum anderen, um Maßnahmen zu empfehlen, wie man sich auf künftige Katastrophen besser vorbereitet. Damit wir nicht wieder Hals über Kopf und planlos in so ein Desaster stürzen.
Immerhin haben Union und SPD in dieser Woche einen Antrag auf Einsetzung einer entsprechenden Enquete-Kommission eingebracht, der in der nächsten Sitzungswoche entschieden werden soll. Ein Schritt, der längst überfällig war. Sollte sich diese Kommission allerdings im Klein-Klein und in politischen Streitereien verlieren, dann wird sie kein Beispiel für Transparenz, sondern wieder nur eine Maskerade sein.
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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

Danke, Claus!Er hat es also geschafft. Das Projekt Abendfrieden oder Abendsonne – ganz wie man möchte. Hanaus Oberbürger...
21/06/2025

Danke, Claus!

Er hat es also geschafft. Das Projekt Abendfrieden oder Abendsonne – ganz wie man möchte. Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky wird im September 2026 vorzeitig aus dem Amt scheiden. Ohne dass er ein aufwändiges Abwahlverfahren oder andere Vorwände konstruieren muss. Obwohl nur ein Punkt in einer umfassenden Reform der Hessischen Gemeindeordnung sprechen manche gar von einer „Lex Kaminsky“, die nunmehr mit Erreichen des Pensionsalters ein selbstbestimmtes Ausscheiden ohne rechtliche Verrenkungen möglich macht.
Man mag das als vorgezogenes Abschiedsgeschenk des Landtages an den dienstältesten Oberbürgermeister Hessens und zweifellos eines der erfolgreichsten Stadtoberhäupter des Landes werten. Vor allem aber leistet Kaminsky noch einmal einen Dienst an der Stadt und der Bevölkerung. Durch die geschickte Terminierung seines Ausscheidens ermöglicht er die Zusammenlegung des OB-Wahltermins mit den regulären Kommunalwahlen und spart der Stadtkasse einen Batzen Geld – da ist und bleibt er nun einmal der sparsame Haushälter. Und vor allem erspart er den Bürgerinnen und Bürgern einen langwierigen, wenn auch „verdeckten“ Wahlkampf der potenziellen Nachfolger.
Die stehen nämlich – von ihm gefördert – bereits in den Startlöchern und bemühen sich bereits jetzt um entsprechende Aufmerksamkeit. Nun wird sich diese Phase nicht bis zum November 2027 hinziehen, sondern nur kompakte und wählerfreundliche neun Monate dauern. So wie es der Oberbürgermeister gewünscht und geplant hat. Die derzeit aussichtsreichsten Kandidaten, Stadträtin Isabelle Hemsley (CDU) und Bürgermeister Dr. Maximilian Bieri (SPD), wissen sicher, was sie hier schultern müssen. Die mächtige Amtskette des Oberbürgermeisters der Goldschmiedestadt wiegt schließlich schwerer als die Krone von England. Und die Herausforderungen werden nicht kleiner werden.
Auch Claus Kaminsky hatte keinen leichten Start, als er vom Bürgermeister- ins Oberbürgermeisterbüro wechselte. Im Abwahlverfahren um seine Vorgängerin Margret Härtel wurden Grenzen überschritten und Gräben aufgerissen. Es folgten in der großen Koalition drei Jahre des Stillstands, die zu Recht als „bleierne Zeit“ beschrieben wurden. Die überraschende Aufkündigung der alten und Bildung der neuen „Kleeblattkoalition“, sowie seine Ankündigung des „Politikwechsels“ mit einer Öffnung der Stadt für Investoren waren sein Befreiungsschlag.
Vor allem hat der ebenso überraschende „Friedensschluss“ mit seiner Vorgängerin Risse in der Stadt gekittet und eine gemeinsam getragene Stadtentwicklung unter seiner Ägide möglich gemacht. Die gigantische Umgestaltung der Stadtmitte durch den „Wettbewerblichen Dialog“, die gelungene Konversion der US-Kasernen, eine äußerst erfolgreiche Wirtschaftsförderung, die aktuellen Innenstadt-Initiativen und nicht zuletzt die Betonung auf das Erbe der Brüder Grimm haben aus dem bemitleideten „Atomdorf Hanau“ eine Stadt gemacht, in die Kommunalpolitiker und Marketingexperten des ganzen Landes pilgern, um Erfolgsmodelle zu studieren.
Kaminsky selbst hat sich in dieser Zeit vom eher trockenen Kämmerer zum selbstbewussten Stadtoberhaupt entwickelt, das auch rhetorisch brilliert. Die scharfzüngige Attacke – etwa, wenn es gegen rechtsradikale Tendenzen geht – beherrscht er ebenso, wie die launige freie Ansprache. Seine Eröffnungsreden der Brüder-Grimm-Festspiele gehören mittlerweile zu den Höhepunkten der Märchensaison und stehen den folgenden Inszenierungen an Unterhaltungswert in nichts nach.
Dass ein Politikerleben nicht nur aus Höhen besteht, musste er schmerzlich am 19. Februar 2020 erleben, als das schreckliche Attentat die Stadt und die ganze Republik erschütterte. Eigentlich wollte er zu dieser Zeit bekanntgeben, dass er nicht mehr kandidieren wird. „In rauer See verlässt der Kapitän nicht das Schiff“ war jedoch sein Credo. Er blieb, und das war auch gut so. Mit gleichermaßen Empathie wie Sachlichkeit steuerte er das Schiff durch diese raue See, schaffte es, die Stadtgesellschaft trotz des Traumas beieinander zu halten. Und selbst die noch immer geführten, völlig unberechtigter Attacken, die vor allem von Aktivistengruppen gesteuert werden, lassen ihn – zumindest äußerlich – relativ unberührt. Dass sie dennoch innerlich sehr verletzend wirken, kann man sich denken.
Auch insofern ist nach drei Jahrzehnten an der Spitze sein Wunsch nach einem Schlusspunkt, nach „Freiheit“ von Terminzwängen und der hohen Verantwortung nachvollziehbar. Die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, von denen viele nur vom „Claus“ sprechen, wenn sie den OB meinen, werden ihm diese Freiheit gönnen. Zu seiner Verabschiedung im nächsten Jahr wird es sicher viele Festreden und lobende Wort geben. Ihm wird es wahrscheinlich reichen, wenn die meisten Hanauer einfach sagen: „Danke, Claus!“
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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

StehsitzerGleich mal vorweg als Entwarnung: In dieser Kolumne geht es nicht um das leidige Thema, wie sich Männer auf de...
14/06/2025

Stehsitzer

Gleich mal vorweg als Entwarnung: In dieser Kolumne geht es nicht um das leidige Thema, wie sich Männer auf der Toilette verhalten. Es geht vielmehr um die Frage, wie unser Volk generell von Entscheidern und Verantwortlichen eingeschätzt wird. Und da gibt es keine Frage, wenn man sich in unseren Innenstädten, öffentlichen Gebäuden, Bushaltestellen und Bahnhöfen umschaut. Offenbar glaubt man, dass die Deutschen Steher und deshalb Sitzgelegenheiten relativ überflüssig sind. Anders lässt sich die sparsame Möblierung im öffentlichen Raum kaum erklären.
Schmerzlich bewusst wurde vielen die mangelhafte Ausstattung während der Corona-Zeit, als es den Kaffee nur „to go“ gab und die Cafés samt Sitzgelegenheiten geschlossen waren. Zum Glück kann man sich jetzt wieder überall zwecks Pause niederlassen – jedenfalls wenn man das nötige Kleingeld hat. Wer auf den Cent schauen muss, hat halt Pech gehabt.
Eigentlich ist es absolut unverständlich, dass in einer alternden Gesellschaft Stadtplaner so wenig Rücksicht auf diejenigen nehmen, die nicht mehr so gut zu Fuß sind und öfter eine Verschnaufpause brauchen – ohne gleich zur Kasse gebeten zu werden. Die bisweilen geäußerte Furcht, dass sich Obdachlose der Bank bemächtigen, lässt oftmals gleich ganz auf die Sitzgelegenheiten verzichten. In der Folge, dass sich dann diese auf den wenigen Bänke knubbeln. Wobei man die Stadtplaner fragen muss, ob denn nicht auch Wohnsitzlose ein Recht darauf haben, zu sitzen.
Im Gegensatz zu anderen Innenstädten leben wir in Hanau nahezu auf einer Insel der Seligen. In der City gibt es eine ganze Menge kostenloser Sitzgelegenheiten, sei es auf dem Markt, dem Freiheitsplatz oder in den Fußgängerzonen. Sicher, die meisten Bänke sind mangels fehlender Lehne nicht besonders rückenfreundlich, aber immerhin. Und immerhin blieben den Hanauern bisher irgendwelche künstlerisch gestalteten aber kaum „besitzbaren“ Monstrositäten erspart, wie sie manche anderen Städte zieren. Sieht man mal von einigen „Kunstwerken“, wie dem 100.000 Euro teuren „Hafenbalkon“ am Steinheimer Ufer ab. Dabei hat Hanau doch gezeigt, wie man es richtig macht: Die zahlreichen Parkbänke, die zur Landesgartenschau angeschafft wurden, sind funktional, ansprechend und waren bezahlbar. Und haben offenbar so gut gefallen, dass nach kurzer Zeit bereits die ersten abmontiert und geklaut wurden. Ein besseres Qualitätssiegel kann man sich kaum wünschen.
Ganz anders sieht es in Hanau jedoch bei der Möblierung im öffentlichen Personenverkehr aus. Die meisten Bushaltestellen der HSB mögen schick und teuer sein, funktional sind sie nicht. Zwei, drei schmale Sitze müssen reichen, um auf den Bus zu warten. Dass die meisten Haltstellen zudem weder vor Sonne noch vor Wind, geschweige denn vor starkem Regen schützen, sei nur am Rande erwähnt.
Was also tun, um der Sitzlosigkeit Einhalt zu gebieten oder Steher und Sitzer in dieser ohnehin schon so gespaltenen Gesellschaft zu versöhnen? Wie immer kann uns da das innovativste Unternehmen unseres Landes eine Antwort geben: die Deutsche Bahn. Die hat schließlich genug Erfahrung damit, Stehplätze in Sitzplätze umzuwandeln, wenn etwa in überfüllten Fernzügen die Menschen auf dem Boden an den Ausgangstüren oder in Regionalzügen auf den Treppenstufen sitzen müssen. Nur am Rande sei erwähnt, dass die Bahn ab morgen die Sitzplätze den wirklich Bedürftigen vorbehalten möchte, also den Betuchten. Die Reservierungsgebühren werden angehoben, der Rabatt für Familien praktisch gestrichen. Wobei die ganze Reservierung ohnehin für die Füße ist, wenn wie so oft der entsprechende Wagen fehlt oder der Zug ganz ausfällt. Und auf den Bahnsteigen, wo vor allem bei Zugverspätungen die Fahrgäste mit wenigen Sitzgelegenheiten klarkommen müssen und oftmals aus purer Ermattung auf dem Fußboden Platz nehmen, kommt die Bahn nun mit einer revolutionären Neuerung daher. Auf frisch sanierten Bahnsteigen im Frankfurter Hauptbahnhof kann man jetzt Installationen betrachten, die man am besten als „gepolsterte Hühnerstangen“ beschreiben kann und die offenbar für „Stehsitzer“ gedacht sind. Da soll man nicht drauf sitzen, sondern sich nur mit dem Hinterteil anlehnen und in leicht gebeugter Haltung verharren. Was dann so aussieht, wie die Ente beim Ka**en. Akrobatisch Veranlagte wiederum erklimmen die Stange und versuchen doch darauf zu sitzen, was wiederum an alte Zeiten erinnert, als die Soldaten noch gemeinsam auf dem Donnerbalken hockten.
Hoffen wir, dass uns sowas in Hanau erspart bleibt!
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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.

RespektDie Jugendlichen führen sich im Supermarkt auf wie Bolle, zeigen auch der Kassiererin deutlich, was sie von ihr h...
07/06/2025

Respekt

Die Jugendlichen führen sich im Supermarkt auf wie Bolle, zeigen auch der Kassiererin deutlich, was sie von ihr halten: gar nichts. Die schweigt jedoch, weil die kleinen Gernegroß offensichtlich weder Max noch Moritz heißen. „Wenn man was sagt, heißt es gleich, man sei ausländerfeindlich“ erklärt sie. Im Bundestag muss eine Linken-Abgeordnete den Saal verlassen, weil sie trotz Aufforderung und klarem Verbot ihr Palästina-Shirt demonstrativ anbehalten wollte. Ebenso wie vor kurzem ihr Kollege Marcel Bauer, der sich weigerte, im Parlament seine Mütze abzunehmen. In einem Hanauer Schnellrestaurant ruft ein erboster Kunde über Notruf die Polizei, weil die „unfähigen Verkäufer“ ihm gegen seinen Wunsch nicht das Salatblatt aus dem Burger entfernt haben. Und die Sprecherin der Grünen Jugend präsentiert sich stolz mit einem T-Shirt, auf dem es heißt, dass alle Polizisten Bastarde sind.
Man könnte meinen, dieses Land ist völlig verrückt geworden. Und ihm wäre eins völlig abhandengekommen: der Respekt vor Institutionen und Mitmenschen. Natürlich wäre das ein falsches Bild, da wir in der großen Mehrheit immer noch eine friedliche und solidarische Gesellschaft sind, die auch respektvoll miteinander umgeht. Dennoch scheint die Minderheit, die sich nicht an die Regeln der Zivilisation hält, stetig zu wachsen. Das zeigt sich auch an den jüngst veröffentlichten Zahlen zu gemeldeten Vorfällen von Diskriminierung und Attacken auf Andersdenkende. Und die Zunahme von Respektlosigkeit und Verrohung zeigt sich auch an den zunehmenden gewalttätigen Attacken auf Polizisten und sogar auf Rettungskräfte, Feuerwehrleute oder das Personal in Notaufnahmen und Krankenhäusern. Unwillkürlich stellt man sich die Frage, wie krank im Kopf eigentlich Menschen sein müssen, welche diejenigen attackieren, die zu unserem Schutz und unserer Hilfe da sind, ja sogar ihr eigenes Leben riskieren, um das Leben anderer zu retten? Man erinnere nur an den Polizisten in Berlin, der kürzlich bei einer Anti-Israel-Demo in die Menschenmenge gezogen und dort fast totgetrampelt wurde. Da geht es nicht mehr um Einzeltäter, wie den Mörder des Polizisten Rouven Laur, der vor einem Jahr in Mannheim erstochen wurde. Da geht es um ganze Gruppen, die sich zusammenrotten, um andere zu demütigen, zu verletzen oder gar zu töten. Und dabei reicht das Spektrum von ganz links bis ganz rechts, wie kürzlich die Festnahme der jugendlichen Neo-Nazi-Gruppe gezeigt hat.
Nun mag man einwenden, die Gewalttäter haben wenig mit einem provokanten T-Shirt oder dem unhöflichen Verhalten gegenüber einer Kassiererin zu tun. In den Auswirkungen vielleicht, vom Grundsatz her hingegen schon. Es zeigt, dass der Respekt vor dem Anderen, dem Andersdenkenden oder dem Anderslebenden, den Institutionen unseres demokratischen Gemeinwesens und vor denen, die uns und unsere Freiheit schützen, bereits im Kleinen beginnen muss. Von der Feststellung, dass alle Polizisten Bastarde sind bis zum Niedertrampeln eines Polizisten ist der Weg kürzer, als man denkt.
Respekt und Rücksichtnahme fangen im Alltag an. Hierzu eine kürzlich gemachte Beobachtung: Bei der Begleitung einer guten Freundin, die nach einer Operation einen Rollator benötigt, ist man erschrocken über die Gleichgültigkeit, ja Rücksichtslosigkeit, mit der einige Menschen denen begegnen, die offenbar gehandicapt sind. Im Bahnhof etwa kann man das waghalsige Umkurven mit dem Fahrrad erleben, obwohl Radfahren hier eigentlich verboten ist. Vordrängeln, ohne Rücksicht auf Verluste. Und böse Blicke, weil es da jemand wagt, trotz Handicap öffentliche Flächen zu benutzen. Das sind alles kleine Anzeichen einer Ellenbogengesellschaft, die sich zu großen Problemen auswachsen können.
Für die Verrohung mag es viele Ursachen geben. Die Gewaltverherrlichung und der Hass in den (a)sozialen Medien, mangelnde Erziehung, Unzufriedenheit mit der eigenen Situation, wirtschaftliche Probleme. Das mögen alles Gründe sein, Entschuldigungen für ein rücksichtsloses Verhalten sind es aber auf keinen Fall.
Wenn sich die Lage in unserem Land bessern soll, dann brauchen wir nicht nur eine positivere Wirtschaftssituation sowie eine Ausrichtung der Politik an Realitäten statt an Ideologien. Dann brauchen wir auch mehr Respekt untereinander. Eine bessere, menschenfreundlichere Gesellschaft fängt im Kleinen an. Bei jedem Einzelnen.

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