
13/09/2025
Dornröschen
Satte 100 Jahre soll Dornröschen geschlafen haben, wie wir von den Brüdern Grimm wissen. So lange hat deren Geburtsstadt Hanau nicht geruht, als sie nach dem rasanten Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Stadt in einen selbstgefälligen Tiefschlaf gefallen war. Ewige Diskussionen um Stadthalle und Freiheitsplatz und um sinkende Kundenfrequenzen in der City beherrschten noch in den 90er Jahren das Bild von der einstmals so prächtigen Residenz. An diesem Wochenende wird mit dem zehnjährigen Jubiläum des Forums die radikale Veränderung der Stadt seit diesem Stillstand gefeiert. Eine Veränderung, die nicht erst 2008 mit dem „Wettbewerblichen Dialog“ und der Innenstadt-Umgestaltung begonnen hat. Eine Veränderung, die mittlerweile weit über die Grenzen der City hinausreicht und noch nicht beendet ist, vielleicht nie beendet sein wird.
Den Startschuss für das Wachküssen des schlafenden Hanau hat bereits die anfangs viel belächelte Landesgartenschau 2002 gegeben. Statt der von Kritikern erwarteten reinen „Blümchenschau“ war dies ein Booster, der Hanau nach vorn katapultiert hat. Der in diesem Zusammenhang angestoßene Bau des Congress Parks beendete die jahrzehntelange fruchtlose Diskussion um die Stadthalle. Mit der Umgestaltung der Francois-Kaserne wurde die Blaupause für die künftige Konversion der US-Army-Anlagen geliefert. Und die Umnutzung der Hessen-Homburg-Kaserne machte den Weg frei für Änderungen in der Innenstadt.
Das, was Oberbürgermeisterin Margret Härtel begonnen hatte, wurde schließlich von ihrem Nachfolger Claus Kaminsky konsequent fortgesetzt und zu einem Infrastrukturprogramm ausgebaut, wie es die Stadt seit dem Wiederaufbau nicht gesehen hat. Das erstmals in Europa großflächig eingesetzte neue Instrument des „Wettbewerblichen Dialogs“ hat die Innenstadt auf völlig neue Füße gestellt. Rund 600 Millionen Euro sind dabei an öffentlichen und vor allem privaten Geldern in die City geflossen. Die Einmütigkeit der Stadtverordneten, der Mut von Rathaus und Großinvestoren, sowie kleinere Förderprogramme haben zudem dazu geführt, dass auch private Hausbesitzer in ihre Immobilien investiert haben.
Sicher ist die Eröffnung des Forums Hanau vor zehn Jahren ein wichtiger Meilenstein in dieser „Aufwachphase“. Immerhin wurde damit auch das jahrzehntelange ergebnislose Palaver um den Freiheitsplatz beendet. Aber die infrastrukturellen Maßnahmen zur Schaffung einer lebendigen Innenstadt sind noch nicht beendet, wenn man etwa an die Planungen im Bereich des Schlossplatzes denkt. Sicher ist auch nicht alles geglückt, sind alle Träume erfüllt worden. Das Fehlen eines Hotels etwa im Bereich des Congress Parks lässt das beeindruckende Ensemble zwar als Event-Location glänzen, macht es aber untauglich für mehrtägige Kongresse.
Ein wichtiger Impulsgeber für den Umbau war sicher die Stadt Maastricht, die sich von einer schmutzigen Industriestadt zu einer der lebendigsten und beliebtesten Städte der Niederlande gemausert hatte. Zwar sind deren Planer in Hanau am Ende nicht zum Zug gekommen, ihr Einfluss ist dennoch spürbar. Man erinnere sich nur an den ersten Entwurf des Wettbewerbssiegers HBB für das Forum, der einem eintönigen Kasten glich. Der zweite, und schließlich umgesetzte Entwurf orientierte sich hingegen an den holländischen Plänen und führte zur Öffnung und Lockerung des Komplexes.
Auch die in Maastricht erfolgreich realisierte Grundidee der Niederländer, das eine Innenstadt nicht nur Einkaufsstandort, sondern auch Erlebnisraum sein muss, ist in Hanau auf fruchtbaren Boden gefallen. Und diese Idee ist angesichts der heutigen Probleme des Einzelhandels und der Innenstädte aktueller denn je. Hanau hat das alles früher als andere Städte erkannt und ist deshalb vom bemitleideten Aschenputtel längst zur Prinzessin geworden, zu der Delegationen aus dem ganzen Land pilgern, um Erfolgsrezepte zu studieren. Nachweislich hat sich der Kundenstrom umgekehrt von „raus aus der Stadt“ in „hinein in die Stadt“. Vorkaufssatzung, HanauAUFLaden, Service-Angebote, Förderung der Gastronomie, das ganze kreative und umfangreiche Programm der Hanau Marketing Gesellschaft von Wochenendevents bis Abendgold und schließlich auch der Erwerb des Kaufhofs zeigen, dass die Stadt sich nicht dem Schicksal ergeben und wieder in einen Dornröschenschlaf verfallen will.
Alle Kritiker und Nörgler mögen sich fragen, wie Hanau wohl aussehen würde, hätte es das alles nicht gegeben. Da mag man sich nur Städte wie Bremen, Pforzheim und viele andere im Land anschauen. Natürlich braucht man bei allen Maßnahmen auch Mut zum Scheitern, wird man Fehler machen. Wer läuft kann stolpern, aber wer stehen bleibt, wird nie vorankommen.
Insofern kann man dem nunmehr putzmunteren Dornröschen Hanau nur zurufen: Bleib wach, schlaf nicht wieder ein, bleib lebendig!
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Zwischenrufer heißt unsere Kolumne, in der Dieter Schreier einen Blick auf das Hanauer Stadtgeschehen oder allgemeine Themen wirft. Der gelernte Journalist hat viele Jahre als Redaktionsleiter, Chefredakteur und Geschäftsführer bei Institutionen und Zeitungsverlagen in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Thüringen und Hessen gearbeitet und ist heute als Medienberater und in der Journalisten-Weiterbildung aktiv. In Hanau ist er seit mehr als 25 Jahren präsent.