13/10/2025
Der SPIEGEL - eine Publikation, die sich lange der Einsicht verweigerte, dass es die ADHS gibt - ist inzwischen auf den ADHS-Zug aufgesprungen. Es gibt kaum eine Ausgabe des regulären Heftes oder aber von Sonderheften, die sich nicht in einem eigenständigen Artikel oder zumindest innerhalb von Artikeln zu ganz unterschiedlichen Themen mit der ADHS befasst.
In der Ausgabe Nr. 39a vom 24.09.2025 ist die ADHS mit "ADHS & CO. Krank oder bloß anders?" sogar auf dem Titelblatt vertreten. Im Heft selbst ist die ADHS mit den Artikeln "Technik Apps für Autisten oder ADHS-Betroffene sollen bei sozialen Interaktionen helfen" und "Gespräch mit der Psychiaterin Alexandra Philipsen und dem Psychiater Georg Schomerus über die schwierige Grenzziehung zwischen Krankheit und Neurodivergenz" vertreten.
Darüber hinaus wird die ADHS im Interview des SPIEGEL mit dem Psychotherapeuten Thorsten Padberg unter dem Titel "Die Diagnose schreibt Menschen in ihrem Problem fest" sowie einem Artikel zu Krankschreibungen aufgrund psychischer Probleme erwähnt. Auch die Psychologin Nora Dietrich spricht in einem Interview unter der Überschrift "Mentale Gesundheit ist kein Do-it-yourself-Projekt" über die ADHS.
In dem als Essay bezeichneten Text von Jan Kalbitzer zum Thema "Chatbots bleiben immer freundlich, die KI verkörpert ein Ideal an Rationalität. Gefühle erleben Menschen so zunehmend als Defizit. Was verlieren wir darüber?" schreibt der Autor:
"Besonders eindrucksvoll zeigt sich das am Beispiel der zunehmenden ADHS-Diagnosen. Die öffentliche Aufmerksamkeit hat zweifellos dazu geführt, dass Menschen, die schon lange unter ADHS leiden, nun schneller diagnostiziert werden. Das kann viel Leid verhindern, wenn psychotherapeutische und medikamentöse Maßnahmen ergriffen werden. Manchmal sitzen gestandene Erwachsene vor mir, die in Tränen aufgelöst sind, wenn sie begreifen, wie viel Leid ihnen erspart geblieben wäre, wenn jemand früher auf diese Diagnose gekommen wäre. Und wie fatal die eigene Selbstwahrnehmung geprägt wurde durch das stetige Gefühl, selbst schuld und eigentlich zu so viel mehr Leistung in der Lage zu sein, wenn man sich einfach nur mal mehr anstrengen würde, disziplinierter wäre – obwohl es aufgrund des ADHS tatsächlich nie möglich war."
Kalbitzer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, sieht die vielen Anfragen für eine ADHS-Diagnostik allerdings auch als Ausdruck des Wunsches, "dass die erlebte Überforderung nicht die eigene Schuld ist. Dass ihnen etwas Körperliches, Neurologisches im Weg steht – und dass sie nichts dafür können." Häufig entstehe dieser Wunsch nach einer Erklärung in der Mitte des Lebens. Dabei gehe "das Phänomen geht weit über ADHS hinaus. Traurigkeit wird rasch zur Depression erklärt, Grübeln zur Angststörung, Erschöpfung zum Burn-out. Jegliche Form von Unwohlsein scheint verdächtig geworden zu sein und verlangt nach einem Label. Dahinter steht eine kulturelle Tendenz: Ambivalenz, Unklarheit, Spannung gelten als Mangel."
Alles in allem ein spannendes Heft.