
10/09/2025
BUCH-TIPP:
Steffen Kopetzky: "Atom", Roman, Rowohlt Berlin
London zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Eigentlich will Simon Batley nie wieder mit dem britischen Geheimdienst zu tun haben. Jahre zuvor, als Physikstudent in Berlin, arbeitete er ihm zu, naiv und undercover. Das führte zu einer Katastrophe, die Batley nie ganz verstand, auch seine große Liebe zu seiner Kommilitonin Hedi von Treyden endete jäh. Doch der Krieg ändert alles. Agent Batley stößt auf die Spur einer neuen Waffe der Deutschen, von nie gekannter Zerstörungskraft. Bald darauf, instruiert von Niels Bohr und Rudolf Heß, reist er als Spion nach Lissabon – und schließlich ins Dritte Reich. Er will den mysteriösen Hans Kammler aufspüren: Der ist als Chefplaner von unterirdischen Forschungsstätten und geheimen Waffenprogrammen einer der mächtigsten N***s. Während Batley versucht, vor den Sowjets und den USA an die deutsche Technik und an Kammler zu kommen, folgt er auch einer persönlichen Mission: Er will Hedi wiederfinden und endlich klären, was damals in Berlin geschah. Steffen Kopetzkys Roman erzählt von der Jagd nach der Atomtechnik, der Spur eines Phantoms – und einem Mann, der zwischen Schuld, Liebe und Hoffnung steht. (Rowohlt Berlin)
Warum habe ich zu dem Buch ATOM von Steffen Kopetzki, erschienen im Rowohlt Verlag Berlin, gegriffen, um es zu rezensieren. In jungen Jahren hat mein Vater, der für den Hi**er- N***staat in Flugzeugen als Bordfunker fungierte, mir von der ENIGMA erzählt, einer Dechiffriermaschine, die in den Kriegsszenarien des II. Weltkrieges geheime Informationen transportierte, ohne dass sie zunächst vom Gegner entschlüsselt werden konnten. Später jedoch von den Engländern schon. In jungen Jahren interessierte ich mich auch für die Entwicklungsgeschichte der Atombombe, die neben dem Manhattan Projekt in den USA auch in Peenemünde eine deutsche weniger bekannte Seite hatte. Diese nun hat der Autor in seinem Buch zu einer fiktionalen Geschichte zusammengetragen. Es werden hier also historische Fakten mit einer Thriller-Story vermischt. Das könnte ein durchaus spannungsvoller Roman werden, und in der Tat ist dieses Buch auch wirklich interessant zu lesen, doch eher wegen der historischen Fakten, weniger wegen der Spionagestory und Liebesgeschichte, die in diesem Buch auch eine Rolle spielt. Die vielen echten Personen: Nazigrößen wie Kammler, der KZ-Architekt, Goebbels, Himmler, Hi**er, Wissenschaftsgrößen wie Einstein, Heisenberg, Oppenheimer, Spione wie Philby, und Raketenforscher wie Wernher von Braun und dazu die gut recherchierten historischen Details erdrücken etwas den Spannungsbogen.
Dennoch lohnt es sich, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Zusätzlich war ich motiviert durch einen früheren Besuch bei Carl Friedrich von Weizsäcker zuhause am Starnberger See, der bei Werner Heisenberg auch forschte, wie man eine Atombombe basteln kann. In meinem Radiointerview war er davon sehr überzeugt, dass ein Atomkrieg kommen würde, und baute sich deshalb in seinem Garten einen atomsicheren Bunker, den er mir stolz zeigte. Angesichts heutiger Kriegs-Szenarien denkt man wieder an solche Geschichten: an Otto Hahn, dem es gelang das Uran zu spalten und jene unfassbare Energie damit freisetzte, die mit dem Spaltungsprozess verbunden ist. Der Atombombenabwurf in Hiroshima und Nagasaki bewies, welch schreckliche Folgen der Einsatz von Atomwaffen haben kann. In Peenemünde besuchte ich das Areal, wo die deutsche Luftwaffe ihre Raketenforschung antrieb, übrigens auch vorwärts getrieben von einem gewissen Wernher von Braun, der in den Vereinigten Staaten nach NAZI-Karriere NASA Karriere bei den amerikanischen Raketenprogrammen machte. Die gewaltigen Eruptionen, die bei einem Prozess der Kettenreaktion entstehen, werden verursacht durch ein freifliegendes thermisches Neutron, das diese Reaktion auslöst. In Ost und West wurde daraufhin der Raketenantrieb erforscht, um neue Waffen zu entwickeln. In Rumänien steht übrigens auch ein Raketen-Denkmal für einen gewissen Hermann Oberth. Der Mathematiker und Physiker, aus Siebenbürgen gebürtig, wurde durch seine grundlegenden Forschungen zur Raketentechnik zu einem der wichtigen Förderer der modernen Raumfahrt. Es sind die vielen Fakten, die Steffen Kopetzki zusammenträgt, die jedoch in ihrer Ausführlichkeit zuweilen den Spannungsfortschritt der Story etwas aufhalten. Aufgestoßen ist mir an einer gewissen Stelle auf Seite 244 auch der Begriff „Schmutzeleien“, der nicht in die Kriegszeit, sondern eher ins politische Bayern heutiger Tage passt. War es bewusste Autorenironie, die hier die Feder führte, ich meine, das hätte der Lektor streichen sollen. Die atmosphärischen Beschreibungen klingen manchmal auch etwas sachlich n***t: „Die Luft war frisch, salzig und ganz und gar südlich.“
Mathematik, Physik, Geheimdienstoperationen, MI6- Figuren, ein Liebesverhältnis zwischen Kapitalismus und Kommunismus, das alles wird in den Plot gepackt, aus niederbayerischer Perspektive beobachtet, sogar der Schnaps „Blutwurz“, der auch verheerende atomare Kater-Wirkungen im Hirn haben kann.
Geht die Liebesgeschichte zwischen dem Geheimagenten und der deutschen Atomwissenschaftlerin gut aus, kommen sie am Ende zusammen? Das wollen wir hier nicht verraten. Interessant auch die Entwicklungen, die im ehemals böhmischen Teil der heutigen Tschechoslowakei und in Prag spielen.
Das Hauptanliegen des Buches ist jedoch, das Schicksal des Nazi-Architekten Hans Kammler zu beschreiben. Hans Kammler hat die Vergasungsstätte in Auschwitz konstruiert und zeichnete verantwortlich für die Unter-Tage-Produktionsstätten für „Vergeltungswaffen“ wie zum Beispiel die V2. Kammlers Figur bleibt etwa zu blass.
Im Nachwort beschreibt der Autor, dass es viele der im Roman auftauchenden Figuren wirklich gegeben hat und welche Personen er zusätzlich frei erfunden hat. Etwas mehr Fiction und etwas weniger Faction hätten dem Roman gut getan, dennoch habe ich es nicht bereut, zu diesem Buch gegriffen zu haben.
Steffen Kopetzky: "Atom", Roman, Rowohlt Berlin
Steffen Kopetzky, geboren 1971, ist Autor von Romanen, Erzählungen, Hörspielen und Theaterstücken.