
05/06/2025
Cover und die ersten Seiten von "Fiona - Entkommen".
Ich h**e das Glas langsam an den Mund und nehme einen Schluck von dem Pfefferminztee. Draußen ist es schon dunkel. Die warme Abendluft umweht meine nackten Beine und mein Gesicht.
Ein Tisch ist noch besetzt, ein junges Pärchen. Ab und zu werfen sie verstohlene Blicke auf mich. Ich winke ihnen lächelnd zu, allerdings muss ich mich zu dem Lächeln zwingen.
Dann kommt Kelly mit unserem Essen. Beeindruckend, wie sie vier Teller trägt. Johnny bringt das Besteck, Katharina kommt einfach so. Sie passt wohl auf, dass die beiden sich nicht verirren.
„Pizza speciale la Bistro“, sagt Kelly.
„Speciale?“, wiederhole ich. „Inwiefern?“
„Ich habe es belegt“, verkündet Johnny stolz.
„Ey, da entfaltet sich ganz zart ein neuer Meisterkoch“, stelle ich fest.
„Genau so ist es“, antwortet Johnny mit der ihm typischen Bescheidenheit.
Nach dem Hinsetzen fällt Kelly auf, dass außer mir niemand ein Getränk hat und nimmt die Bestellung auf. Zu Pizza passt Pfefferminztee nicht wirklich, ich bestelle also einen Rotwein, Katharina auch. Und Johnny auch, aber er bekommt Traubensaft. So weit kommt es noch. Als Kelly auch vor sich ein Weinglas mit roter Flüssigkeit abstellt, sehe ich sie fragend an.
„Traubensaft“, sagt sie.
„Mit oder ohne Gärung?“
„Ist das wichtig?“ Also mit.
„Wieso darf sie und ich nicht?“, beschwert sich Johnny.
„Ich bin älter als du.“
„Drei Jahre!“
„Meine Leber kann nicht kaputt gehen.“
„Was hat das mit dem Weintrinken zu tun?!“
Bei einem Glas nichts, aber das sage ich nicht laut.
„Wenn du mit 13 auch so gut kämpfen und zaubern kannst wie Kelly, darfst du dir auch Wein auf den Tisch zaubern“, erkläre ich.
„Wie lernt man zaubern?“
„Das kann dir Kelly genau erklären, aber erst nach dem Abendessen.“
„Na gut.“
Kelly versteckt ihr Grinsen hinter dem Weinglas und prostet uns zu. Dann essen wir schweigend.
Solche Abende sind schön. Früher waren sie allerdings noch viel schöner. Ohne den Gedanken daran, ob und wie uns die Scheiße mit Fiona auf die Füße fällt.
„Ich habe mich offiziell von Brandon getrennt“, teilt uns Kelly zwischen zwei Bissen mit.
„Wie hat er reagiert?“, frage ich neugierig.
„Er meinte, er findet es schade, hat aber damit gerechnet. Er hätte schon gemerkt, dass er irgendwie nicht zu mir passt. Ich wäre ihm zu lebhaft, aber er liebt mich trotzdem.“
Ich pruste los und verschlucke mich beinah. „Entschuldige, Kelly. Hat er das echt gesagt?“
Sie nickt. „So richtig verliebt war ich in ihn nicht, glaube ich.“
„Du hast genau gespürt, dass es nichts wird“, bemerkt Katharina. „Trotzdem, dein erster Freund, an den erinnerst du dich noch lange.“
„Yep. Erinnerst du dich noch?“
„An meinen ersten Freund oder an mein erstes Mal?“
„War es nicht dasselbe?“, erkundigt sich Johnny.
„Nope. Im Mittelalter lief Manches anders. Mein erstes Mal war nicht unbedingt mit meiner Einwilligung und Freund würde ich ihn nicht nennen.“
„Ups. Hast du ihn getötet?“
„Später, Johnny. Einige Jahre später. Damals war ich etwa so alt wie Kelly jetzt und wusste nicht so wirklich, wer und was ich bin. Lange her. Mein erster Freund, oder was man so nennen kann, kam dann etwa zwei Jahre später.“
„Erinnerst du dich noch an ihn?“, fragt Johnny.
„Ja. Er war der pubertierende Sohn eines Metzgers aus dem nahen Dorf, der mich zufällig im Wald entdeckte. Eine Zeit lang haben wir uns regelmäßig getroffen und gefickt. Ich hätte mich mit ihm gerne auch unterhalten, aber er war einfach nur dumm. Und auch nicht gewillt, daran etwas zu ändern.“
„Aber er konnte gut fi**en und darum hast du es einige Wochen oder Monate ausgehalten“, sage ich.
„Äh … ja.“
„Kenn ich.“
„Du hattest auch so einen Freund?“, erkundigt sich Kelly amüsiert.
„Oh ja. Und erst durch ihn ...“ Ich unterbreche mich. Verdammt. Es ist doch schon so lange her, trotzdem kommen die Tränen.
„Oh, oh“, sagt Kelly. „Tut mir leid, ich wollte nicht ...“
„Schon gut, Süße“, erwidere ich. „Greg war ein Ar*****ch, aber die Trennung lief nicht reibungslos und ich brauchte danach einen Drink. Da habe ich dann Phil kennengelernt. Nach David meine zweite große Liebe. Bis ich ihn nach drei Monaten, oder zwei, tot im Badezimmer fand. Herzinfarkt. Er war ein Polizist in Rente.“
„Du hast ihn sehr geliebt“, sagt Katharina.
Ich nicke.
„Danach beschloss ich, mich niemals wieder zu verlieben.“
„Bis Katharina kam?“, fragt Kelly.
„Bis mein Bruder umgebracht wurde und ich James um Hilfe bat. Katharina kannte ich da noch gar nicht.“
„Aber ich dich.“
„Ja, hast du erzählt. Was interessierten mich damals irgendwelche Geschäftsleute?“
Katharina grinst. „Warst ja auch ein Kind, kaum älter als Kelly jetzt.“
„Yep.“
„Und wie kam dann Katharina ins Spiel?“ Kelly runzelt die Stirn.
Oh, oh.
„Äh … unerwartet. Ich meine, wir sind uns damals auf einem Ball beim Präsidenten begegnet, als ich mit James verlobt war. Mein Vater warnte mich noch vor ihr. Rein geschäftlich, versteht sich.“
„Ja, klar“, unterbricht mich Kelly.
„Wirklich. Ich hätte damals jeden Eid geschworen, dass ich 100 % hetero bin. Wie auch immer, mein Vater und Katharina kannten sich und weil ich CSE übernahm, hatten wir plötzlich auch miteinander zu tun. Daraus wurde dann irgendwie Freundschaft, Katharina mit Kay, ihrem Mann, und Helena, meine Wenigkeit mit James und später auch Sandra. Bei einer dieser Gelegenheiten offenbarte sie mir ihr wahres Dasein.“
„Weil ich spürte, dass du deine Kräfte entdeckt hattest. Jedenfalls ein bisschen.“
„Oh ja, damals nur ein bisschen. Aber das reichte mir schon. Und dann … jagten wir irgendwelche Wesen, die Frauen zum Ausbrüten ihrer Brut nutzten, und weil die Sprösslinge bei der Geburt die Bäuche der Leihmütter sprengten ...“
„Wie bei Alien?“, unterbricht mich Kelly schon wieder.
„Ja, so ähnlich. Das führte uns in die Katakomben und zu Goldie. Und wo auf dieser Erde die Slums sind, lebten und arbeiteten damals die Cuculus. Sie sorgten dafür, dass wir einen längeren Aufenthalt in der Verborgenen Welt hatten, die für mich damals total neu war. Und da … da sind wir uns näher gekommen.“
„So kann man das auch nennen“, bestätigt Katharina.
„Ja, in Wahrheit hast du mich eiskalt verführt.“
„Genau. Die Gunst der Stunde genutzt. Und das ist mir so gut gelungen, dass du gar nicht mehr zurück wolltest.“
„Stimmt auch wieder. Erst das Gespräch mit der Schlange im Erdenbaum hat mich zur Besinnung gebracht. Ich meine, was das Zurückkehren betraf. Für Katharina galt das nicht. Und ich habe es bereut, als du den Kontakt zu mir abgebrochen hast.“
„Ja, tut mir leid“, murmelt sie. „Damals hielt ich es für richtig.“
„Es war richtig“, erwidere ich. „Für mich war es die Hölle, aber es war richtig. Du hattest nicht wirklich eine Wahl.“
Katharina mustert mich nachdenklich.
„Siehst du das anders?“
„Weiß ich nicht“, sagt sie. „Es hätte einige Veränderungen bewirkt, wenn ich dir nicht aus dem Weg gegangen wäre. Denk daran, wie es war, als ich wegen dem Krumana-Dämon dazwischen gegangen bin.“
„Aus beschissen wurde am beschissensten.“
Sie lacht kurz auf. „Weißt du, wie sauer ich war, als ich das mit Michael herausgefunden habe?“
„Ist mir nicht entgangen.“
„Michael?“, wiederholt Kelly. „Du hattest was mit ihm?“
„Ja. Ist das für dich neu?“
Sie zuckt die Achseln. „Ich habe es mir nicht wirklich … Ah, das erklärt Margrets Verhalten!“
„Ein wenig. Dabei war es gar nichts Großes. Ein Kuss in Kanaan, später einmal Fi**en, mehr war gar nicht.“
„Für mich viel zu viel damals“, bemerkt Katharina. „Ich war emotional sowieso in einem Ausnahmezustand. Das Wiedersehen mit dir, mit Sorned, die kriselnde Beziehung mit Kay, Anne Marie … Michael war der berühmte Tropfen.“
„Und was war dann?“
„Wir haben uns ein Jahr lang nicht mehr gesehen“, antworte ich.
„Und davor?“
„Vier Jahre.“
Kelly runzelt die Stirn.
„Der Unterschied war: Beim zweiten Mal dachte ich, ich hätte Katharina wirklich endgültig verloren. Die vier Jahre davor klammerte ich mich an eine bescheuerte Hoffnung, dass sie irgendwann auf den Knien ankommt und mich um Vergebung bittet.“
„Das hast du wirklich gedacht?“ Katharina starrt mich entgeistert an.
„Manchmal“, gebe ich zu. „Sonst wäre ich durchgedreht.“
„Hm. Tut mir leid, das wusste ich nicht. Ich meine, ich wusste schon, das es hart war, aber ...“ Sie unterbricht sich und wischt mir einige vorwitzige Tränen ab.
„Das muss ja wirklich schlimm gewesen sein, wenn es dich jetzt noch zum Weinen bringt, obwohl Katharina direkt neben dir sitzt“, stellt Kelly fest.
„War es auch. Nach dem Tod von James änderte sich alles. Und dann kam die Löschung des Universums. Okay, ich erinnerte mich danach erst einmal an nichts mehr, umso schlimmer dann, als ich im Ewigen Turm wieder alles wusste.“
„Aber du hast sie ja dann gefunden“, sagt Kelly.
„Klar, sie hat mir als Erstes die Nase gebrochen.“
Katharina lacht schon wieder, während die Kinder, vor allem Johnny, mich fragend ansehen, also erzähle ich kurz, wie und wo ich sie fand und dass ich sie dann dazu bringen musste, sich neu in mich zu verlieben. Zwischendurch kassiert Katharina den Tisch mit dem Pärchen ab.
„Aber jetzt seid ihr glücklich zusammen, schon seit einigen Jahren, oder?“, sagt Johnny.
„Ja, endlich.“
„Also ein Happy End!“
Jetzt muss ich auch lachen. Klar, für ein Kind ist das wichtig. Gerade für Johnny, der nie eine wirklich funktionierende Familie erlebt hat und selbst diese eher disfunktionale wurde ihm dann genommen. Er würde es nicht verkraften, wenn seine neue Familie auch zerbrechen würde.
Aber das wird nicht geschehen.
„Oder?“, fragt er.
„Irgendwie schon“, bestätige ich. „Nur das mit dem Ende ist eigentlich nicht korrekt. Im Gegenteil.“
„Ja, okay, aber du weißt bestimmt, wie ich es meine!“
„Weiß ich“, nicke ich. „Und du hast natürlich recht.“
„Gut“, sagt er zufrieden.
Oh Martin, warum warst du so ein Ar*****ch und hast dann so klasse Kinder?
„Übrigens, wir können Feierabend machen“, bemerkt Kelly.
„Ja, mach mal.“
Sie starrt mich kurz an, dann springt sie auf. „Komm, Johnny, wir räumen ein!“