Consens Seniorenmagazin der Stadt Mainz

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DER FRANKFURTER HOFVon Dr.-Ing. Rainer MetzendorfAls „Narrhalla“, „Katholisches Kasino“ und „Mainzer Paulskirche“ war de...
20/07/2025

DER FRANKFURTER HOF
Von Dr.-Ing. Rainer Metzendorf

Als „Narrhalla“, „Katholisches Kasino“ und „Mainzer Paulskirche“ war der „Frankfurter Hof“ im Herzen der historischen Altstadt einst Mittelpunkt des kulturellen, politischen und sozialen Lebens. Darüber hinaus ist er das Paradebeispiel der Mainzer Altstadtsanierung.

Der Name „Zum Frankfurter Hof“ leitet sich vom Bartholomäusstift in Frankfurt ab, das in der Mainzer Augustinerstraße, Ecke Badergasse bereits 1568 ein Hospital für Pilger besaß. Ende des 18. Jahrhunderts kam das Anwesen in bürgerliche Hände und wurde von Georg Richard Schmitt in das Bierhaus „Zum Frankfurter Hof“ umgenutzt. 1834/35 erwarb Konrad Falck das Gasthaus und erweiterte den Bau im rückwärtigen Bereich um einem geräumigen Festsaal mit breiten Zuschauergalerien auf drei Seiten. Beeindruckend war der Dachstuhl als Sprengwerkkonstruktion mit hochgezogener Decke und geschickt eingebundener Hallenlüftung: ein „Tempel der Geselligkeit“, wie es in Mainz noch keinen gab. Im November 1841 wurde die neue „Narrhalla“ vom 1838 gegründeten Mainzer Carneval-Verein eingeweiht und fortan für seine närrischen Generalversammlungen genutzt. Der Eintritt zu den Sitzungen im großen Saal für 500 bis 600 Narrhallesen entsprach damals inklusive der Begleitung einer Dame dem Tageslohn eines Arbeiters. Diese ersten Kampagnen begründeten den politisch-literarischen Gehalt der Mainzer Fastnacht und trotzten in freier Rede der sonst strengen Zensur durch die Obrigkeit.

Nach dem Tod von Konrad Falck 1843 übernahm seine Witwe Christina die Gastwirtschaft und gab sie dann an Johann Ludwig Engelhard, einen Schwager ihres Mannes, weiter. Beim viertägigen Katholikentag 1851 starben bei einer Panik nach falschem Feueralarm sechs Frauen auf den Tribünen. Engelhard verkaufte das Gebäude 1864 an Johann Falck III. und an Andreas Schmidt für 90.000 Gulden, die es für den „Katholischen Leseverein“ herrichteten. Am 20. November 1864 fand mit Bischof Wilhelm von Ketteler die feierliche Eröffnung statt. Der Verein nannte sich danach „Kasinogesellschaft im Frankfurter Hof“ und wurde zu einem katholischen Bollwerk. Die kritische Haltung der katholischen Kirche unter dem einflussreichen Bischof Ketteler gegenüber der Fastnacht, die in ihren Sitzungen „Religion und Sitte, Vaterland, Fürst und Volk“ verhöhnte, führte dazu, dass sich der Mainzer Carneval-Verein umgehend eine neue Bleibe suchen musste. Er fand sie mehr schlecht als recht in der 1839 errichteten „Fruchthalle“. Mit der Bildung eines „Bürgercomités“, den Vorbereitungen zur Wahl der Nationalversammlung und der Gründung des „Demokratischen Vereins“ wurde in der Märzrevolution 1848 das Gasthaus zur „Mainzer Paulskirche“. Am 20. Mai 1863 hielt Ferdinand Lassalle, Mitbegründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins im Mainzer Frankfurter Hof vor rund 900 Zuhörern eine fast zweistündige Rede, in der er seine sozialen und politischen Thesen vortrug. Allmählich bekam auch „das weibliche Element“ Zutritt. Die Damen saßen zwar auf den vordersten Bänken, beteiligten sich aber nicht an den Verhandlungen und leisteten allein durch ihre Anwesenheit das Ihrige. Im August 1876 brannte die „Fruchthalle“ ab. Bis zur 1884 eröffneten Stadthalle am Rhein diente der Frankfurter Hof als Ersatzort für Tagungen, Jubiläen, Vereinssitzungen, Sylvesterfeiern bis hin zu Fahnenweihen.

Dank einer städtebaulichen Umgestaltung des Quartiers entstand anstelle des in die Jahre gekommenen Altbaus Augustinerstraße 55 nach Plänen des renommierten Mainzer Architekten Franz Gill 1895 ein neues Hauptgebäude im spätbarocken Stil als „Clubhaus der Casinogesellschaft“. Das dreigeschossige Gebäude mit abgerundeter Ecke und schiefergedecktem Mansarddach verleiht seitdem dem Straßenbild einen nicht nur architektonisch auffälligen Akzent (Abb. 1), betont durch die mittige Nischenfigur des heiligen Josef im ersten Obergeschoss, begleitet von zwei mit Lorbeer und Eichenlaub unterlegten Wappen: rechts das Mainzer Stadtwappen, links belegt das Papstwappen die romtreue Gesinnung der Casino-Gesellschaft. Zwei Lichthöfe trennten und verbanden nun den neuen Vorderbau mit dem rückwärtigen Saalbau, dessen westliche Abschlussmauer nach Trassierung der Schönbornstraße als ungestaltete Brandwand freigelegt wurde. 1932 fanden im Frankfurter Hof die letzten freien Reichstagswahlen statt, bei der sich die Zentrums-Partei mit acht Stimmen Vorsprung noch gegen die NSDAP durchsetzen konnte. 1938 richtete hier die Jüdische Gemeinde eine Auffangstelle zur Betreuung geflohener rheinhessischen Juden ein. Im Kriegsjahr 1944 erfolgte der Einbau eines Kinos, das 1951 zum „Filmtheater Casino“ erweitert wurde, zehn Jahre später aber einer Buchdruckerei weichen musste.

1972 erwarb die Stadt Mainz das mittlerweile fast leerstehende Anwesen. Das Interesse lag dabei nicht an dem historisch wertvollen Bestand, sondern an der zentralen Lage des Grundstückes. Bis auf die Fassade an der Augustinerstraße sollte der Frankfurter Hof abgerissen werden und ein Neubau bis zum Kirschgarten als Bürgerzentrum für die Altstadt entstehen. Bürokratische Mühlen, Schwierigkeiten mit der Finanzierung und aufkommende Proteste von Eigentümern der abzureißenden Häuser führten zu alternativen Überlegungen vom Einbau eines Stadtmuseums bis hin zum Neubau von Sozialwohnungen. Knackpunkt war der marode Zustand des Saales samt denkmalschutzwürdigem Dachstuhl, von dem es allerdings keine Unterlagen gab. Zwei Studenten der Mainzer Fachhochschule fertigten auf Anregung ihres Professors eine Bestandsaufnahme und Dokumentation. Dafür wurden sie 1978 mit einem Gutenbergstipendium ausgezeichnet. Ein dann von der Stadt in Auftrag gegebenes Gutachten brachte 1979 die Erkenntnis, dass der Saal baukonstruktiv zu erhalten sei, aber umfassend saniert werden müsse. Die Diskussionen um Wert und Erhalt des Frankfurter Hofes setzten sich fort: auf der einen Seite die „linken Sanierungsromantiker“, auf der anderen die „Fachargumente“ der Abrissbefürworter. Zu Entscheidungen kam es, als der Deutsche Werkbund unter der Leitung von Prof. Helmut Kanis 1982 sein 75-jähriges Gründungsjubiläum im historischen Saal des Frankfurter Hofes (ohne Genehmigung der Stadt Mainz!) mit einer Matinee und klassischer Musik feierte. Die akustische Qualität und die klaren Proportionen des Festsaales begeisterten die Mitglieder und die gezielt eingeladenen Gäste. Dann überschlugen sich die Ereignisse: Ein weiteres Gutachten der Stadt Mainz „belegte“ nun doch eine akute Einsturzgefahr des Frankfurter Hofes und Oberbürgermeister Jockel Fuchs verfügte 1983 den Abriss. Eine hoch motivierte Bürgerinitiative und ein später einsetzender Sinneswandel in der Politik konnten das letztendlich verhindern.

Noch im selben Jahr beschloss der Stadtrat den Erhalt, sicherte die Finanzierung und ließ ein Konzept entwickeln, das sich an den historischen Baubestand und die Nutzung als Versammlungsort zu halten habe. Mit konkreten Vorgaben für den Saalbau an der Schönbornstraße, den zur Disposition stehenden Mittelteil in der Badergasse und den neobarocken Kopfbau zur Augustinerstraße mit weiterer Nutzung für fünf Wohnungen und den bestehenden Lebensmittelmarkt im Erdgeschoss lobte die Stadt Mainz 1985 einen städtebaulichen Realisierungswettbewerb aus, den die Darmstädter Architekten Alois Funk und Paul Schröder gewannen und unter Betreuung der Mainzer Wohnbau ausführten (Abb. 2 + 3).

Hauptproblem der Sanierung war die statische Sicherung des Saales, bei dem im schluffigen Baugrund der Rheinebene die Außenwände bis zu 30 Zentimeter nach außen aus dem Lot geraten waren. Auch der erhaltenswerte hochmarode Dachstuhl hatte sich aus seinen Verankerungen gelöst. Statiker Fritz Grebner (1910-2003), der bereits 1945 in einer spektakulären Aktion den einsturzgefährdeten Kirchturm von St. Stefan gerettet hatte, fand die Lösung: Als erstes erhielt der Saal eine Bodenplatte aus Beton und danach 16 Meter tiefe Pfahlgründungen, die bis zum tragfähigen Grund reichten. Die verfallenen Holzstützen des Innenraumes samt Dachstuhl bekamen eine stabilisierende Ummantelung. Ohne zu zerbrechen wurden zum Schluss die schiefen Außenwände aus Naturstein behutsam von Innen beigezogen.
Bis ins Detail folgten die Architekten ihrem Leitgedanken „mit einer konsequent neu gestalteten Architektur die Eigenständigkeit der Altbauten zu betonen“. Markant hebt sich der Zugang vom Frankfurter Hof in der Augustinerstraße von den weiteren Hauseingängen ab und führt über eine Vorhalle mit Garderobe (Abb. 10), Aufzug und repräsentativer Treppe zum Foyer im ersten Obergeschoss (Abb. 4). Diese zweigeschossige Anlage mit begleitenden Galerien, freigestellter Treppe und Glasdach samt abschließendem Baldachin liegt zwischen Saal und Innenhof des Wohngebäudes (Abb. 5).

Im Gegensatz zum offenen gläsernen Foyer wirkt der Saal introvertiert. Seine ursprünglichen Proportionen und Gliederungen sind beibehalten, doch ist die innere Verkleidung mit zeitgemäßen Formen und Materialien getrennt vor die historischen Mauern gestellt (Abb. 6). Alt und Neu stehen dadurch gleichberechtigt nebeneinander. Drei große in der Höhe verstellbare Lüster als Interpretation historischer Vorbilder und Kapitelleuchten an den Stützen vermitteln einen festlichen Charakter. Deutlich setzt sich der neue Mittelbau in der Badergasse durch Glasfugen und durch den eingestellten Treppenhauszylinder ab (Abb. 7). Gemeinsame Materialien wie gelber Sandstein und dunkler Muschelkalk sowie formale Bezüge dokumentieren jedoch die Zugehörigkeit zum Gesamtkomplex. Beide Materialien tauchen in den Anschlussgebäuden auf: Sandstein in der Fortführung zur Augustinerstraße und Muschelkalk an der Saalfassade (Abb. 8). Der Westgiebel des Saales, einst geschlossene Brandwand, erhielt eine neue Ansicht durch horizontale, alternierende Streifen aus Putz und einen Balkon als Blickfang (Abb. 9).

Nach fünfjähriger Planungs- und Bauzeit mit Baukosten von knapp 20 Millionen DM konnte das neue Kulturzentrum „Frankfurter Hof“ pünktlich zum 150. Jubiläum des historischen Saales 1991 eingeweiht werden, erhielt spontan, noch im gleichen Jahr, den „Mainzer Bauherrenpreis“ sowie die Auszeichnung „Vorbildliche Bauten in Rheinland-Pfalz“. Seitdem ist es ein „El Dorado“ besonders für internationale Größen aus Jazz, Klassik und Popkultur.

Das alte FotoOsteiner Hof und St. Stephan 1952Von Kurt MerkatorDer Osteiner Hof, erbaut 1747-1752 im Auftrag des Kurfürs...
09/07/2025

Das alte Foto
Osteiner Hof und St. Stephan 1952
Von Kurt Merkator

Der Osteiner Hof, erbaut 1747-1752 im Auftrag des Kurfürsten Johann Friedrich Karl von Ostein, war der Abschluss der repräsentativen Bebauung des damaligen „Thiermarkts“ und heutigen Schillerplatzes.

Lange blieb er nicht das Stadtpalais der Osteins, denn nach der französischen Revolution besetzten die Franzosen das Gebiet bis zum Rhein, enteigneten den Adel, der floh, und machten den Palast zu einem öffentlichen Gebäude. Jeanbon St. André, seit 1802 Präfekt des Departement Mont-Tonnere, hatte dort seinen Sitz. Der Osteiner Hof wurde immer wieder Sitz regionaler Kommandos, angefangen von den Franzosen über Kaiser Wilhelm I., der hier ab 1854 als Gouverneur residierte. Seit dieser Zeit heißt das Gebäude bei den Mainzern das „Gouvernement“. Es wurde Hauptquartier von Friedrich Karl Nikolaus von Preußen während des Deutsch-Französischen Kriegs. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrten die Franzosen zurück in den Palast.

Am 20. April 1933, dem Geburtstag Adolf Hi**ers, übergab die Stadt Mainz das Gebäude an die NSDAP, die dort die Leitung der SS und der SA unterbrachte. Durch die Bombardements des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude zerstört, nach dem Krieg auf Drängen der Franzosen, die einmal mehr als Besatzer in dieser Stadt waren, 1947-1948 sehr schnell wiederhergestellt. Nach Abzug der Besatzer wurde es bis 2014 Standortkommandantur der Bundeswehr. Danach wurde der Osteiner Hof wieder privatisiert. Es entstanden 34 Wohneinheiten und einige Gewerbeflächen. Der Balkon über dem Eingang ist weiterhin der Ort, an dem am 11.11. um 11:11 Uhr das närrische Grundgesetz verlesen wird, das die Fastnacht eröffnet. Im Osteiner Hof kann man sich an jedem zweiten Freitag im Monat das Ja-Wort geben.

Unser Foto des Palais dürfte aus den frühen 1950er Jahren stammen. Es zeigt den Osteiner Hof in alter Pracht, als sei nichts geschehen. Der Fastnachtsbrunnen wurde erst 1967 errichtet und die Straßenbahn, die die Gaugasse herunterkam, fuhr noch in einem Bogen um den Schillerplatz, wie das Haltestellenschild vorne im Bild beweist. Ein Blick die Gaugasse hinauf zeigt, dass es zu diesem Zeitpunkt auch hier viele Kriegsschäden gab.

Wir sehen den von Sprengbomben getroffenen Turm von St. Stephan noch ohne Turmhelm und Laterne, die erst 1961 wiedererstanden. Nach Kriegsende klaffte auf der Nordseite des Turms ein 32,5 cm breiter Riss. Der gespaltene Turm, die Risse im Mauerwerk und das beschädigte Säulenfundament ließen die Hochschule Darmstadt zu dem Urteil kommen, der Turm würde bald nach Südosten umkippen und sei daher abzureißen oder zu sprengen.

Dem widersprach der geborene Mainzer Bauingenieur Fritz Grebner. Er schreibt in seinem Buch „St. Stephan in Mainz. Sicherung und Wiederaufbau 1945“: „Bei der Mainzer Bevölkerung genießt der Turm große Sympathie. Es knüpfen sich zahlreiche Erzählungen und alte Geschichten an seine Vergangenheit. Nicht unwesentlich trug zu seiner Popularität bei, dass 1875 in der Türmerwohnung Drillinge geboren wurden. Diese hatten den Zweiten Weltkrieg überlebt und 1946 bereits das 70. Lebensjahr überschritten.“ Grebner entwickelte Pläne, um durch einen Notpfeiler, Zuganker und Ölpressen den Turm zusammenzuziehen und zu stabilisieren, was dann nach 5 Wochen tatsächlich gelang, und zwar am 27. Februar 1947, also genau zwei Jahre nach dem verheerenden Luftangriff. Der Abschluss des Wiederaufbaus sollte erst Ende der 1960er Jahre gelingen.

Fritz Grebner hat somit wesentlich dazu beigetragen, dass sich eines der markantesten und ältesten Gebäude von Mainz auch heute noch über der Stadt erhebt. Monsignore Klaus Mayer hat der Kirche dann mit den Fenstern von Marc Chagall zu einem Stellenwert verholfen, der jährlich Tausende von Touristen nach Mainz führt.

Gautor und Münstertor – Reichverzierte Festungstore im barocken MainzVon Dr. Rudolf BüllesbachAuf diesen Tag hatten die ...
21/06/2025

Gautor und Münstertor – Reichverzierte Festungstore im barocken Mainz
Von Dr. Rudolf Büllesbach

Auf diesen Tag hatten die Menschen in Europa lange gewartet. Am 24. Oktober 1648 läuteten in Münster und Osnabrück die Glocken und die Einwohner stimmten den Choral „Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen“ an. In beiden Städten war gerade der Westfälische Friede verkündet und damit der Dreißigjährige Krieg beendet worden.

Es war das Ende eines Krieges, bei dem Mainz fast 44 Prozent seiner Einwohner verloren hatte. Die Überlebenden sehnten sich nach Frieden und Sicherheit. Diesem Friedenswunsch kam Kurfürst Johann Philipp von Schönborn durch einen verstärkten Festungsbau nach. Eine moderne Festung konnte der Residenz des Kurfürsten und weiten Teilen des Kurstaates Schutz vor Überraschungsangriffen und Truppendurchzügen territorialer Gegner bieten. Ein Weiteres kam hinzu: Machtpolitisch wollte der Mainzer Kurfürst mit einer neuen Festung seinem Amt als Erzkanzler des Reiches noch mehr Glanz verleihen, frei nach dem Motto: Den Bürgern zur Wehr, dem Kurfürsten zur Ehr.

Anfang 1655 begann eine der größten Baumaßnahmen, die Mainz bis dahin erlebt hatte. Bis 1708 errichtete der Kurstaat eine der modernsten Festungen in Europa. Vor den Resten der mittelalterlichen Stadtmauer entstand ein barocker Festungsring mit 15 gewaltige Bastionen und 4 Bastionen der Zitadelle auf der linken Rheinseite sowie rechtsrheinisch 4 Bastionen des Fort Mars.

Durchgänge durch den geschlossenen Festungsring in die Stadt gab es am Rhein, wo die alte Stadtmauer mit ihren Toren und Tortürmen erhalten geblieben war. Vier neue Durchgänge waren an den Landseiten geschaffen worden. Das Neutor und das am anderen Ende der Stadt gelegene Raimunditor dienten als Verbindungen zu den entlang des Rheins verlaufenden Straßen. Das Gautor und das Münstertor verbanden die Stadt mit dem rheinhessische Umland in Richtungen Bingen und Alzey.

Alle Tore waren mit reichverzierten Schaufassaden ausgestattet und bildeten repräsentative Zugänge in die Stadt. Sie dienten aber nicht nur der Repräsentation, sondern mussten als Lücken und Durchlässe im Festungsverbund auch gegen mögliche Angreifer auf besondere Weise gesichert werden. Das ist gut bei dem 1670 errichteten Gautor und dem 1664 gebauten Münstertor zu erkennen. Das Aquarell von André Brauch am Beginn dieses Beitrags mit der Rekonstruktion der barocken Gautoranlage um 1780 zeigt den mehrfach gesicherten und gewundenen Zugangsweg zur Toranlage und, wie dieser von jeder beliebigen Stelle der angrenzenden Mauern und Bastionen verteidigt werden konnte. Direkt vor dem Tor ist eine Vorfestung als Brückenkopf (Ravelin) zu erkennen, der die Brücken, die über die Festungsgräben zu dem Tor führten, vor einem direkten Angriff decken sollte. Das Tor selbst war durch Ziehbrücken sowie durch einen geknickten Tunnel-Durchgang (Poterne) gesichert, was es den Verteidigern ermöglichte, eindringende Feinde noch unmittelbar vor oder in der Toranlage abzuwehren.

Ein vergleichbares Verteidigungssystem gab es beim Münstertor, von dem die beiden Aquarelle von Stephan Schmitt einen guten Eindruck vermitteln. Mit dem Münstertor begann die Gartenfeldfront, die sich bis zum Rhein erstreckte (siehe Karte). Gesichert war dieser Festungsabschnitt durch einen von Zeybach und Grabbrunn gespeisten nassen Graben. Der im Endausbau bis zu 30 Meter breite Wassergraben stellte entlang der heutigen Kaiserstraße mit den dahinterliegenden Bastionen eine kaum zu überwindende Barriere für mögliche Angreifer dar. Ein Teil dieses Wassergrabens bildete der Münsterweiher, dessen Wasser mit einem gemauerten Wehr gestaut wurde. Den Zugang in die Stadt ermöglichte eine Brücke, die den äußeren Toreingang mit dem davor liegenden Münstertor-Ravelin verband und von dort abknickend zum Gartenfeld führte. Ebenso wie beim Gautor gab es innerhalb der Münstertoranlage einen geknickten Tunnel, der unter einem bis zu 15 Meter hohen Erdwall verlief und zu dem stadtwärts liegenden, mit Zinnen versehenen Münstertor-Gebäude führte. Der stadtseitige Zugang zur Toranlage war ebenfalls mit einer Schaufassade versehen. Mauerreste der Münstertoranlage wurde im März/April 2025 bei den Bauarbeiten zur neuen Straßenbahnlinie in der Binger Straße freigelegt (siehe Lageplan). Nach Presseberichten ist mit weiteren Funden zu rechnen.

Das Ende der barocken Festung erfolgte in zwei Stufen. Im Zusammenhang mit der Stadterweiterung wurde mit dem Rheingauwall zwischen 1873 und 1879 um die Neustadt ein neuer Festungswall gebaut. Dieser ersetzte die barocke Gartenfeldfront, sodass 1877 auch das erst 1859 erneuerte Münstertor niedergelegt werden konnten. Auch die 1880 erfolgten Umbauten und Erneuerungen des Gautors hatten nicht lange Bestand. Mit der Entwicklung größerer und weitreichenderer Geschütze sowie der Erfindung hochbrisanter Sprengstoffe waren seit 1885 die barocken Festungswerke nicht mehr ausreichend gegen die Wirkung von Artilleriegeschossen geschützt. Das Gautor wurde deshalb 1896 abgebrochen. Erhalten blieb die äußere Schaufassade der Toranlage, die in der Nähe des ursprünglichen Standorts heute noch an die barocke Festung erinnert.

Liebe Leserinnen und Leser,wir leben in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft. Gewohnte Strukturen verändern sich, ...
09/06/2025

Liebe Leserinnen und Leser,

wir leben in einer sich ständig wandelnden Gesellschaft. Gewohnte Strukturen verändern sich, die digitale Entwicklung schreitet in großen Schritten voran. Lebenslanges Lernen ist nicht nur Kür, sondern zur Pflichtaufgabe des Einzelnen geworden – mitunter auch zur Last, die zur Überforderung führen kann.

Nicht immer gelingt es, an Entwicklungen dranzubleiben und den Überblick in dieser komplexen Welt zu behalten. Gerade ältere Menschen verfügen über viel Lebenserfahrung, können diese im Alltag aber oft nicht mehr für sich nutzbar machen. Umso wichtiger sind eine kompetente Beratung und Begleitung, die hilft, Orientierung zu finden, Informationen einzuordnen und passende Lösungen zu entdecken.

Genau hier setzen die Beratungsstellen für selbständiges Leben im Alter an. Seit über 40 Jahren sind sie als ein niederschwelliges und wohnortnahes Beratungsangebot darauf spezialisiert, ältere und immobile Menschen in den Belangen des Älterwerdens zu unterstützen.

Die Fragestellungen, die an die Beratungsstellen herangetragen werden, sind vielfältig und individuell. Ob es um ­ Themen geht, wie rechtlich vorgesorgt oder eine häusliche pflegerische Versorgung sichergestellt werden kann, oder um die Frage nach den finanziellen Ansprüchen in einer konkreten Situation: Die Beratungsstellen bieten eine Anlaufstelle, unabhängig von der gesetzlichen Grundlage der jeweiligen Anfrage. So ist es über
viele Jahre gelungen, die ambulante häusliche Versorgung zu stärken und ­ vielen einen langen Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu ermöglichen.

Doch auch die Beratungsstellen spüren die steigenden Anforderungen: mehr ältere Menschen, mehr Bürokratie, komplexere Lebenssituationen. Über 15 Jahre lang mussten die Beratungsstellen mit unverändertem Personalstand arbeiten trotz wachsender Aufgaben. Die Folgen waren spürbar.

Deshalb habe ich mich im Rahmen der Haushaltsberatungen für eine personelle Verstärkung eingesetzt. Mit Erfolg. Die Stadtverordnetenversammlung hat
dem Antrag zugestimmt. Das freut mich sehr! Denn so bleibt gewährleistet, dass die Beratungsstellen auch in Zukunft die Zeit und Aufmerksamkeit aufbringen können, die jede einzelne Person verdient, insbesondere alleinlebende Seniorinnen und Senioren.

Sie haben bisher noch keinen Kontakt zur Beratungsstelle gehabt, möchten sich aber informieren oder beraten lassen? Dann rufen Sie gerne die Servicenummer 0611/31-3487 an oder besuchen Sie die Website der Stadt Wiesbaden. Dort finden Sie auch Ihre persönliche Ansprechperson.

Herzlichst,
Dr. Patricia Becher
Dezernentin für Soziales, Wohnen und Bildung der Landeshauptstadt Wiesbaden

Ein Blick zurück in DemutFünf Jahre ist es jetzt her. Der erste Covid-19-Fall in Deutschland. Unser soziales Zusammenleb...
07/06/2025

Ein Blick zurück in Demut

Fünf Jahre ist es jetzt her. Der erste Covid-19-Fall in Deutschland. Unser soziales Zusammenleben wurde von heute auf morgen komplett stillgelegt. Kindergärten, Schulen, Theater und Restaurants wurden geschlossen, für Krankenhäuser und Seniorenheime galt ein Besuchsverbot. So viele alte und kranke Menschen sind in dieser Zeit ohne den Beistand der Angehörigen gestorben.

In allen Bundesländern galt ab April 2020 eine Pflicht zum Tragen von Schutzmasken. Aber wo sollten die Masken herkommen? In Bretzengheim nähte die Belegschaft eines Raumausstatters in Tag- und Nachtarbeit Masken aus Stoff. Für die Redaktionsmitglieder konnte ich Dank freundschaftlicher Kontakte zum Inhaber vierzig Masken zu einem stolzen Preis erhalten und per Post an die Redaktionsmitglieder schicken. Höchst entgegenkommend stellte die Stadtverwaltung dem Team den größten vorhandenen Raum im Kreissig-Flügel für die Redaktionssitzungen zu Verfügung. In gebührendem Abstand saßen wir nebeneinander, besprachen die Themen der Hefte und hielten eisern durch. In der ganzen Corona(virus)-Pandemie fiel nur eine einzige Sitzung aus. Zeichen der Hoffnung als die ersten Impfungen gegen das Virus möglich wurden. Nach fünf Jahren ist es einmal Zeit innezuhalten und zurückzuschauen mit dem Bewusstsein, auch diese schwere Zeit gemeistert zu haben.

Viel Vergnügen bei der Lektüre der neuen Ausgabe wünscht Wolfgang-Michael Duschl, Redaktionsleitung

Sommer 2025 - der neue conSens für Mainz ist erschienen  Sie können das aktuelle Heft auch auf unserer Internet-Seite le...
07/06/2025

Sommer 2025 - der neue conSens für Mainz ist erschienen

Sie können das aktuelle Heft auch auf unserer Internet-Seite lesen und auf Ihre Endgeräte herunterladen: www.consens-seniorenmagazin.de

Das Seniorenmagazin conSens bildet die Lebenswirklichkeit und die Lebensumwelt der älteren Generation ehrlich und offen ab, hält Menschen zusammen und bündelt Interessen. So hat sich unser conSens in der Zeitungslandschaft für Mainz und Wiesbaden mit Qualität einen festen Platz geschaffen. „Älter werden mit Laune“ ist ein Motto, das maßgeschneidert zum Seniorenmagazin conSens passt. Das Magazin ist eine informative und vielfältige von Senioren für Senioren gemachte Quelle.

Wir wünschen allen unseren Lesern einen entspannten Sommer und viel Freude beim Lesen dieser Ausgabe.

Unser Seniorenmagazin conSens informiert Sie auch auf FaceBook, mit ausgewählten Artikeln aus dem Heft und mit Informationen für Senioren.

Das CapitolEine Mainzer Kino-LegendeVon Gerd MorlockDer Mainzer Porträtfotograf, Fotokaufmann und Inhaber einer „Photogr...
22/05/2025

Das Capitol
Eine Mainzer Kino-Legende
Von Gerd Morlock

Der Mainzer Porträtfotograf, Fotokaufmann und Inhaber einer „Photographischen Anstalt“ Albert Kämmer Le Bret ließ im Jahr 1932 in der Neubrunnenstraße Nr. 9 nach den Plänen des Architekten Dyrauf ein Kino und ein dreistöckiges Wohnhaus errichten. Noch heute befindet sich hier das „Capitol“-Filmtheater.

Neben dem größten Mainzer Kino, dem „UFA-Palast“ mit seinen 1.200 Sitzplätzen, dessen Ambiente an die Stummfilmära erinnerte und in dem eine wundervolle Wurlitzer Kino-Orgel die Pausen zwischen zwei Vorstellungen überbrückte, war von den seinerzeit 18 Mainzer Kinos das „Capitol“ das modernste und schönste Lichtspieltheater, das man nur in Superlativen beschreiben konnte. Die mit weinrotem Cordsamt bespannten Wände und die ebenso gepolsterten Sessel des Zuschauerraums, der schwere rote Bühnenvorhang, die indirekte Beleuchtung durch einen in der Deckenmitte installierten, einem Zeppelin ähnelten Beleuchtungskörper, die in den Kanten der Saaldecke umlaufenden Vouten, die beleuchtete Bühnenumrandung, alles dies hatte mit insgesamt 1.000 Glühlampen eine behagliche Wohlfühlatmosphäre geschaffen. Das Kino war mit modernster Bild- und Tontechnik ausgestattet. Zwei Zeiss-Ikon-Ernemann-II-Projektoren, die Siemens-Klangfilm-Verstärker- und Lautsprecheranlagen boten dem Publikum hervorragende Raumakustik und ungetrübten Kinogenuss. In einem Nebenraum des Vorführraums befand sich ein Spieltisch mit zwei elektrischen „Perpetuum-Ebner“-Plattenspielern. Die magnetischen Tonkapseln lieferten einen nahezu natürlichen Klang. Der Vorführer konnte aus einem etwa 100 Schallplatten umfassenden Musikarchiv zu jedem Genre eines Hauptfilms die passende Pausenmusik auswählen, oft sogar die originale Filmmusik, um die Zuschauer auf die Filmhandlung einzustimmen. Auch dafür war das Capitol bekannt.

Direkt vor die Leinwand konnte ein edler, königsblauer Stoffvorhang gezogen werden, der den würdigen Hintergrund für die große Bühne bildete, wenn das Capitol, wie so oft, als Kabarett- oder Variete-Theater genutzt wurde. Eine moderne Beleuchtungstechnik erlaubte Lichteffekte, mit der die Bühnenszenen auch farbig ausgeleuchtet werden konnten. Bei Live-Veranstaltungen kamen die musikalischen Untermalungen eines Orchesters aus dem Orchestergraben vor der Bühne, der normalerweise durch eine dezente grüne Stoffbespannung abgedeckt war. Um die Künstler ins rechte Licht zu setzen, waren an der Bühnenrampe zusätzliche Leuchtkästen angebracht. In den Pausen strahlten diese den roten Bühnenvorhang an. Die beiden Seiten der Bühne wölbten sich konkav bis zur Saaldecke. Ihre diffus beleuchteten vergoldeten Rippen, unter denen man sich mit etwas Fantasie die Pfeifen einer Kinoorgel vorstellen konnte, bildeten zusammen mit dem Bühnenvorhang ein fast feierliches Ensemble. Im letzten Drittel des Saals war ein Balkon eingezogen, der eine hervorragende Sicht auf die Leinwand bot, die letzten Sitzreihen im Parterre jedoch ins Halbdunkel tauchte. Eine darüber eingelassene indirekt ausgeleuchtete Lichtwanne sorgte auch hier für eine dezente Beleuchtung. Jeder Beleuchtungseinheit war ein separater Regelkreis zugeordnet, dessen einzelne Stromkabel auf einem Regiepult im Vorführraum aufliefen. Mit ihm konnte der Vorführer das Saallicht langsam ein- oder ausregeln. Seiner Fantasie waren keine Grenzen gesetzt, wenn er auf der Leinwand den Vorspann des Hauptfilms in die schönsten Farbmischungen tauchte.

Der Kinoeingang befand sich in der Neubrunnenstraße. Eine weithin sichtbare Neon-Lichtreklame nahm die gesamte Höhe des Wohngebäudes in Anspruch. Den Besucher empfing der freundlich gestaltete Kassenraum, den eine vergoldete konkave Lichtkuppel krönte. Durch eine mehrflügelige Glastür gelangte der Besucher in das von Tageslicht durchflutete Foyer, von dem aus zwei Türen in den Kinosaal führten. Am Ende des Foyers führte eine Treppe zum Balkon.

Ob Sommer oder Winter, ein ausverkauftes Haus oder nur eine geringe Besucherzahl: Durch eine moderne Klimaanlage wurde das Gebäude stets mit wohl temperierter, sauerstoffreicher und angenehmer Atemluft versorgt. Ein riesiger Exhaustor saugte die verbrauchte Luft ab und sog gefilterte frische Luft an, die je nach den Außentemperaturen erwärmt oder gekühlt in den Saal eingelassen wurde. Dem Luftstrom konnten wohlriechende Düfte beigemischt werden. Am beliebtesten war der Tannenduft. Kern der Heizungsanlage waren zwei moderne koksbefeuerte Kessel.

Selbstverständlich war für den Fall, dass durch eine technische Störung oder einen Netzausfall der Strom plötzlich ausfallen sollte, eine Notbeleuchtung vorhanden, die während der Vorstellungen dauerhaft mit geringer Helligkeit in Betrieb war. Sie zeigte den Kinogästen die Treppenstufen des Balkons und die Gänge im Saal. Bei ernsthaften Störungen schaltete die Notbeleuchtung automatisch auf die volle Lichtstärke, um den Besuchern die Fluchtwege aus dem Saal zu weisen. Für die Notstromversorgung gab es im Höfchen zwischen Kino- und Wohngebäude einen verschlossenen, gut gesicherten Raum, in dem sich eine größere Anzahl von Bleiakkumulatoren befand. Im Boden des Höfchens waren zwei größere Felder aus Glasbausteinen eingelassen, die dem darunterliegenden Foyer Tageslicht spendeten.

Aus „technischen Gründen“ wurde das „Capitol“ zweimal eröffnet:: als Generalprobe vor normalem Publikum am ersten Weihnachtsfeiertag 1933 mit dem Großfilm „Es gibt nur eine Liebe“; am 3.Januar 1934 mit einer pompösen Eröffnungszeremonie vor geladener Prominenz aus Partei, Wirtschaft und Verwaltung mit der Welturaufführung des Films „Schön ist jeder Tag, den du mir schenkst Marie-Luise“.

Seit der Eröffnung 1933 war mein Vater Ernst als Erster Filmvorführer und Technischer Leiter im „Capitol“ angestellt. Anfang 1935 konnten wir in die erste Etage des Vorderhauses in der Neubrunnenstraße Nr. 9 einziehen. Die Wohnungen waren wie das Kino in Komfort und Technik auf dem Stand der Zeit. Die Nähe seines Arbeitsplatzes gereichte meinem Vater zum Vorteil. Vor jeder Abendvorstellung hatte meine treusorgende Mutter bereits ein warmes Abendessen zubereitet, das sie ihm an seinem Arbeitsplatz servierte.

Ende August 1937 sorgte das „Capitol“ für eine Sensation: Als erstes Kino in Mainz zeigte es einen amerikanischen Farben-Großfilm in Technicolor. Der Film, ein romantisches Drama, hieß „Ramona“. Die weibliche Hauptrolle spielte Loretta Young, die Regie führte Henry King. Beide waren damals bereits berühmte Künstler des amerikanischen Films. Publikum und Presse waren begeistert!

Mein Eintritt in die Kinowelt: Am 2.Mai 1934 wurde ich um neun Uhr morgens geboren. Als Kleinkind ab vier Jahren war der Vorführraum fast täglich meine zweite Kinderstube. In einem Nebenraum befand sich ein Fensterchen, durch das man die Filme auf der Leinwand anschauen konnte. Sobald ich sitzen, sprechen und einigermaßen verstehen konnte, was sich im Film ereignete, baute mir der „beste Vater der Welt“ einen „Hochsitz“ und installierte einen Lautsprecher. Ich durfte Märchenfilme nach den Gebrüdern Grimm, die Puppen-Trickfilme der Gebrüder Diehl und – bereits in Agfa-Color – die Zeichen-Trickfilme des „deutschen Walt Disney“ Hans Fischerkoesen ansehen. Mit fünf Jahren wurde mir erlaubt, harmlose Lustspiele mit Hans Moser, Theo Lingen, Dick und Doof, Pat und Patachon oder die Serien des Westernhelden Tom Mix und sogenannte Legendenfilme anzuschauen.

Am 20. April 1939 wurde der 50. Geburtstag des „Führers“ Adolf Hi**er pompös gefeiert. Das „Capitol“ gehörte am Vormittag ausschließlich dem Jungvolk und den Jungmädels der Hi**erjugend. Unter der Führung des Oberbannführers des HJ-Banns 117 Karl-Wilhelm Wahl, den Fanfarenklängen und Trommelschlägen der Spielmannszüge marschierten Abordnungen der Fähnleins mit ihren Jungenschaften und Jung-Mädelschaften ins „Capitol“. Ihnen wurde der Propagandafilm „Hi**erjunge Quex“ gezeigt.
Mein Vater war bis 1943 wegen seiner „kriegswichtigen Aufgabe“ als Filmvorführer als unabkömmlich vom Wehrdienst zurückgestellt (ZG). Seit 1935 war er Haus-Luftschutzwart. Nach jedem Fliegeralarm machte er seine Rundgänge durch die beiden Gebäude, wobei ich ihn meistens begleiten durfte. In der Nacht vom 12. auf den 13. September 1941 verlor eine einzelne „Wellington“ der „RAF“ offensichtlich ihren Bomberverband und verfehlte dadurch ihr Hauptziel Frankfurt. Sie entledigte sich ihrer Bombenlast über dem „Gelegenheitsziel“ Mainz-Hbf. Nach der Entwarnung fanden wir über dem Bühnenhaus des „Capitol“ ein zerbrochenes Dachfenster. Das ließ nichts Gutes ahnen. Hinter der Bühne stießen wir dann tatsächlich auf eine Stabbrandbombe, die durchs Dachfenster am mächtigen Varietevorhang hinuntergeglitten war und sich im Vorhangwulst am Boden verfangen hatte. Nur deshalb explodierte sie nicht. Das „Capitol“ war einer Brandkatastrophe entgangen.
Das schreckliche Geheule der Luftschutzsiren, wir nannten sie spöttisch „Görings Waldhörner“, schreckte uns meist nachts aus erstem Tiefschlaf und jagte uns in die Luftschutzräume.

In den beiden Nächten des 11./12. und 12./13. August 1942 erfolgte ein Flächenbombardement auf die Stadt. Der größte Teil der Mainzer Altstadt ging in Flammen auf; dabei verloren 163 Menschen ihr Leben. Auch die Mittlere Bleiche wurde ein Raub der Flammen. Offensichtlich gelang es der Feuerschutzpolizei ein Übergreifen auf die Neubrunnenstraße zu verhindern. Glück gehabt! Wieder einmal war das „Capitol“ gerettet.

Bis 21.7.1942 lief der Film „Kapriolen“ mit Gustav Gründgens in der Hauptrolle, ab 22.7. wurde das Kino gründlich renoviert. Ohne große Zeremonie eröffnete am 21.8. das „Capitol“ in neuem Glanz mit dem Spitzenwerk der Terra „Rembrandt van Rijn“. Ewald Balser brillierte in der Hauptrolle.

Die schwere Zeit zahlloser Luftschläge fand mit der Apokalypse am 27. Februar 1945 ihren Höhepunkt an Unmenschlichkeit. In dem Inferno des Angriffs der Royal Airforce ging unsere Stadt nahezu vollständig unter. Das „Capitol“ überlebte dank seiner feuerfesten Türen und dem Betondach diese Heimsuchung. Mit dem Vorderhaus fiel auch unsere Wohnung der Brandkatastrophe zum Opfer, das „Capitol“ jedoch wurde uns zum Lebensretter.

Nach dem Einmarsch der Amerikaner wurde das Kino zum Casino für das 718. Railway-Operating-Bataillon, das die Behelfsbrücke „Alexander-Page-Bridge“ vom Kaisertor nach Kastel gebaut hatte. Im Juli 1945 besetzte die französische Armee neben anderen Territorien das linksrheinische Gebiet. In Mainz spielte jetzt das „Capitol“ als einziges funktionsfähiges Kino in der Innensatdt, ausschließlich für französische Soldaten und ihre Angehörigen. 1946 gab die französische Militärregierung das „Capitol“ an den Eigentümer Albert Kämmer Le Bret zurück. Kämmer fand heraus, dass die Familie Morlock in Jugenheim Zuflucht gefunden hatte, und machte sich auf den Weg, um seinen früheren Mitarbeiter Ernst Morlock in sein Kino nach Mainz zurückzuholen.

Zunächst durften fast nur französische Filme mit deutschen Untertiteln und politisch unbedenkliche deutsche Filme dargeboten werden, z.b. „Opfergang“, „Immensee“ „Die Goldene Stadt“. Sogenannte „Überläufer“, unbedenkliche Produktionen vor dem Untergang des „Dritten Reiches“, fanden ihre Premiere im „Capitol“. Der erste deutsche, 1947 von der DEFA in Ostberlin gedrehte Nachkriegsfilm „Ehe im Schatten“ wurde mit großem Erfolg im „Capitol“ aufgeführt.

Ein Abend in jeder Woche war das „Capitol“ für die französischen Soldaten und ihre Angehörigen reserviert. Stets musste in den Pausen die Platte von Will Glahe mit der böhmischen Polka „Rosamunde“ gespielt werden. Die Franzosen waren außer Rand und Band, sie hüpften und tanzten dazu zwischen den Stuhlreihen. Einmal brachten die Angehörigen der 3. algerischen Infanteriedivision ihr Maskottchen, den Leithammel, mit ins Kino. Nach der Vorstellung liefen die Entlüftungsmaschinen auf Hochtouren. Nach einiger Zeit wurden die wöchentlichen Militärvorstellungen eingestellt.

Nach umfangreichen Renovierungen und mit zeitgemäß neuer Bildprojektions-, Ton- und Lautsprechertechnik ausgestattet startete das „Capitol“ 1948 in die neue, verheißungsvolle Zeit des Kinos. Neben internationalen Filmen wurden auch wieder erfolgreiche deutsche Produktionen aus vergangener Zeit gezeigt.

„Mach dir ein paar schöne Stunden, geh` ins Kino!“ So verlockend dieser Werbeslogan war, er verlor nach und nach seine Anziehungskraft. Mit dem Aufkommen des Fernsehens, man nannte es Pantoffelkino, in den frühen 50er-Jahren schwand in den Kinos drastisch die Besucheranzahl. Hollywood hielt zunächst mit 3D-Filmen dagegen. Das „Capitol“ zeigte zwei Rita Hayworth-Schinken in Anaglyphen-3D und in Schwarz-Weiß, das mit zweifarbigen Brillen geschaut werden musste. Nach den Vorstellungen klagten viele Zuschauer über Kopfschmerzen. Im Filmpalast konnten die Besucher „Das Kabinett des Professor Bonti“ in Polarisations-3D, zwar auch mit Brille, aber in Farbe und mit Stereoton, genießen. Die Halbwertszeiten beider Verfahren waren extrem kurz. Die 3D-Filme verschwanden in den Archiven.

1953 war das Jahr, in dem die Twentieth-Century-Fox-Corp. (Centfox) ihr „Cinemascope®-Verfahren“ vorstellte und eine neue Epoche der Kino- und Filmtechnik einläutete. Mit dem Monumentalfilm „The Robe“ („Das Gewand“) startete am 4. Dezember 1954 die Centfox in Deutschland ihr neues „Cinemascope®-Verfahren“. Albert Kämmer wollte als einer der Ersten mit seinem „Capitol“ dabei sein. Aber die Umbau- und Erweiterungsarbeiten für die neue Großbildwand (Widescreen), die Neuinstallationen großer, den Tonumfang von der tiefsten bis zur höchsten Frequenz wiedergebenden Lautsprechersysteme, angetrieben von technisch neu entwickelten, kraftvollen Stereoverstärkern, die Montagen mehrerer im Saal verteilten Effektlautsprecher, dies alles nahm mehr Zeit in Anspruch als ursprünglich geplant. Der Filmpalast kam Albert Kämmer mit „Das Gewand“ als Cinemascope®-Erstaufführungstheater in Mainz zuvor. Kurz danach wurde das „Capitol“ mit „Lawrence von Arabien“, Sandalen- und Kolossalfilmen wie „Quo Vadis“ und „Ben Hur“ das zweite, viel besuchte Mainzer „Cinemascope®-Film-Theater“.

„Capitol“, alle Luftangriffe, die recht ruppigen Inanspruchnahmen durch alliiertes Militär hast du unversehrt überstanden! Auch die Herausforderungen durch das große Kinosterben hast du überlebt! Ein vielversprechender Investor ist gefunden: Christopher Bausch. Er betreibt in Frankfurt und Augsburg mehrere Kinos. Ist er die neue Hoffnung für „Capitol“ und sein Publikum?

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