
20/07/2025
DER FRANKFURTER HOF
Von Dr.-Ing. Rainer Metzendorf
Als „Narrhalla“, „Katholisches Kasino“ und „Mainzer Paulskirche“ war der „Frankfurter Hof“ im Herzen der historischen Altstadt einst Mittelpunkt des kulturellen, politischen und sozialen Lebens. Darüber hinaus ist er das Paradebeispiel der Mainzer Altstadtsanierung.
Der Name „Zum Frankfurter Hof“ leitet sich vom Bartholomäusstift in Frankfurt ab, das in der Mainzer Augustinerstraße, Ecke Badergasse bereits 1568 ein Hospital für Pilger besaß. Ende des 18. Jahrhunderts kam das Anwesen in bürgerliche Hände und wurde von Georg Richard Schmitt in das Bierhaus „Zum Frankfurter Hof“ umgenutzt. 1834/35 erwarb Konrad Falck das Gasthaus und erweiterte den Bau im rückwärtigen Bereich um einem geräumigen Festsaal mit breiten Zuschauergalerien auf drei Seiten. Beeindruckend war der Dachstuhl als Sprengwerkkonstruktion mit hochgezogener Decke und geschickt eingebundener Hallenlüftung: ein „Tempel der Geselligkeit“, wie es in Mainz noch keinen gab. Im November 1841 wurde die neue „Narrhalla“ vom 1838 gegründeten Mainzer Carneval-Verein eingeweiht und fortan für seine närrischen Generalversammlungen genutzt. Der Eintritt zu den Sitzungen im großen Saal für 500 bis 600 Narrhallesen entsprach damals inklusive der Begleitung einer Dame dem Tageslohn eines Arbeiters. Diese ersten Kampagnen begründeten den politisch-literarischen Gehalt der Mainzer Fastnacht und trotzten in freier Rede der sonst strengen Zensur durch die Obrigkeit.
Nach dem Tod von Konrad Falck 1843 übernahm seine Witwe Christina die Gastwirtschaft und gab sie dann an Johann Ludwig Engelhard, einen Schwager ihres Mannes, weiter. Beim viertägigen Katholikentag 1851 starben bei einer Panik nach falschem Feueralarm sechs Frauen auf den Tribünen. Engelhard verkaufte das Gebäude 1864 an Johann Falck III. und an Andreas Schmidt für 90.000 Gulden, die es für den „Katholischen Leseverein“ herrichteten. Am 20. November 1864 fand mit Bischof Wilhelm von Ketteler die feierliche Eröffnung statt. Der Verein nannte sich danach „Kasinogesellschaft im Frankfurter Hof“ und wurde zu einem katholischen Bollwerk. Die kritische Haltung der katholischen Kirche unter dem einflussreichen Bischof Ketteler gegenüber der Fastnacht, die in ihren Sitzungen „Religion und Sitte, Vaterland, Fürst und Volk“ verhöhnte, führte dazu, dass sich der Mainzer Carneval-Verein umgehend eine neue Bleibe suchen musste. Er fand sie mehr schlecht als recht in der 1839 errichteten „Fruchthalle“. Mit der Bildung eines „Bürgercomités“, den Vorbereitungen zur Wahl der Nationalversammlung und der Gründung des „Demokratischen Vereins“ wurde in der Märzrevolution 1848 das Gasthaus zur „Mainzer Paulskirche“. Am 20. Mai 1863 hielt Ferdinand Lassalle, Mitbegründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins im Mainzer Frankfurter Hof vor rund 900 Zuhörern eine fast zweistündige Rede, in der er seine sozialen und politischen Thesen vortrug. Allmählich bekam auch „das weibliche Element“ Zutritt. Die Damen saßen zwar auf den vordersten Bänken, beteiligten sich aber nicht an den Verhandlungen und leisteten allein durch ihre Anwesenheit das Ihrige. Im August 1876 brannte die „Fruchthalle“ ab. Bis zur 1884 eröffneten Stadthalle am Rhein diente der Frankfurter Hof als Ersatzort für Tagungen, Jubiläen, Vereinssitzungen, Sylvesterfeiern bis hin zu Fahnenweihen.
Dank einer städtebaulichen Umgestaltung des Quartiers entstand anstelle des in die Jahre gekommenen Altbaus Augustinerstraße 55 nach Plänen des renommierten Mainzer Architekten Franz Gill 1895 ein neues Hauptgebäude im spätbarocken Stil als „Clubhaus der Casinogesellschaft“. Das dreigeschossige Gebäude mit abgerundeter Ecke und schiefergedecktem Mansarddach verleiht seitdem dem Straßenbild einen nicht nur architektonisch auffälligen Akzent (Abb. 1), betont durch die mittige Nischenfigur des heiligen Josef im ersten Obergeschoss, begleitet von zwei mit Lorbeer und Eichenlaub unterlegten Wappen: rechts das Mainzer Stadtwappen, links belegt das Papstwappen die romtreue Gesinnung der Casino-Gesellschaft. Zwei Lichthöfe trennten und verbanden nun den neuen Vorderbau mit dem rückwärtigen Saalbau, dessen westliche Abschlussmauer nach Trassierung der Schönbornstraße als ungestaltete Brandwand freigelegt wurde. 1932 fanden im Frankfurter Hof die letzten freien Reichstagswahlen statt, bei der sich die Zentrums-Partei mit acht Stimmen Vorsprung noch gegen die NSDAP durchsetzen konnte. 1938 richtete hier die Jüdische Gemeinde eine Auffangstelle zur Betreuung geflohener rheinhessischen Juden ein. Im Kriegsjahr 1944 erfolgte der Einbau eines Kinos, das 1951 zum „Filmtheater Casino“ erweitert wurde, zehn Jahre später aber einer Buchdruckerei weichen musste.
1972 erwarb die Stadt Mainz das mittlerweile fast leerstehende Anwesen. Das Interesse lag dabei nicht an dem historisch wertvollen Bestand, sondern an der zentralen Lage des Grundstückes. Bis auf die Fassade an der Augustinerstraße sollte der Frankfurter Hof abgerissen werden und ein Neubau bis zum Kirschgarten als Bürgerzentrum für die Altstadt entstehen. Bürokratische Mühlen, Schwierigkeiten mit der Finanzierung und aufkommende Proteste von Eigentümern der abzureißenden Häuser führten zu alternativen Überlegungen vom Einbau eines Stadtmuseums bis hin zum Neubau von Sozialwohnungen. Knackpunkt war der marode Zustand des Saales samt denkmalschutzwürdigem Dachstuhl, von dem es allerdings keine Unterlagen gab. Zwei Studenten der Mainzer Fachhochschule fertigten auf Anregung ihres Professors eine Bestandsaufnahme und Dokumentation. Dafür wurden sie 1978 mit einem Gutenbergstipendium ausgezeichnet. Ein dann von der Stadt in Auftrag gegebenes Gutachten brachte 1979 die Erkenntnis, dass der Saal baukonstruktiv zu erhalten sei, aber umfassend saniert werden müsse. Die Diskussionen um Wert und Erhalt des Frankfurter Hofes setzten sich fort: auf der einen Seite die „linken Sanierungsromantiker“, auf der anderen die „Fachargumente“ der Abrissbefürworter. Zu Entscheidungen kam es, als der Deutsche Werkbund unter der Leitung von Prof. Helmut Kanis 1982 sein 75-jähriges Gründungsjubiläum im historischen Saal des Frankfurter Hofes (ohne Genehmigung der Stadt Mainz!) mit einer Matinee und klassischer Musik feierte. Die akustische Qualität und die klaren Proportionen des Festsaales begeisterten die Mitglieder und die gezielt eingeladenen Gäste. Dann überschlugen sich die Ereignisse: Ein weiteres Gutachten der Stadt Mainz „belegte“ nun doch eine akute Einsturzgefahr des Frankfurter Hofes und Oberbürgermeister Jockel Fuchs verfügte 1983 den Abriss. Eine hoch motivierte Bürgerinitiative und ein später einsetzender Sinneswandel in der Politik konnten das letztendlich verhindern.
Noch im selben Jahr beschloss der Stadtrat den Erhalt, sicherte die Finanzierung und ließ ein Konzept entwickeln, das sich an den historischen Baubestand und die Nutzung als Versammlungsort zu halten habe. Mit konkreten Vorgaben für den Saalbau an der Schönbornstraße, den zur Disposition stehenden Mittelteil in der Badergasse und den neobarocken Kopfbau zur Augustinerstraße mit weiterer Nutzung für fünf Wohnungen und den bestehenden Lebensmittelmarkt im Erdgeschoss lobte die Stadt Mainz 1985 einen städtebaulichen Realisierungswettbewerb aus, den die Darmstädter Architekten Alois Funk und Paul Schröder gewannen und unter Betreuung der Mainzer Wohnbau ausführten (Abb. 2 + 3).
Hauptproblem der Sanierung war die statische Sicherung des Saales, bei dem im schluffigen Baugrund der Rheinebene die Außenwände bis zu 30 Zentimeter nach außen aus dem Lot geraten waren. Auch der erhaltenswerte hochmarode Dachstuhl hatte sich aus seinen Verankerungen gelöst. Statiker Fritz Grebner (1910-2003), der bereits 1945 in einer spektakulären Aktion den einsturzgefährdeten Kirchturm von St. Stefan gerettet hatte, fand die Lösung: Als erstes erhielt der Saal eine Bodenplatte aus Beton und danach 16 Meter tiefe Pfahlgründungen, die bis zum tragfähigen Grund reichten. Die verfallenen Holzstützen des Innenraumes samt Dachstuhl bekamen eine stabilisierende Ummantelung. Ohne zu zerbrechen wurden zum Schluss die schiefen Außenwände aus Naturstein behutsam von Innen beigezogen.
Bis ins Detail folgten die Architekten ihrem Leitgedanken „mit einer konsequent neu gestalteten Architektur die Eigenständigkeit der Altbauten zu betonen“. Markant hebt sich der Zugang vom Frankfurter Hof in der Augustinerstraße von den weiteren Hauseingängen ab und führt über eine Vorhalle mit Garderobe (Abb. 10), Aufzug und repräsentativer Treppe zum Foyer im ersten Obergeschoss (Abb. 4). Diese zweigeschossige Anlage mit begleitenden Galerien, freigestellter Treppe und Glasdach samt abschließendem Baldachin liegt zwischen Saal und Innenhof des Wohngebäudes (Abb. 5).
Im Gegensatz zum offenen gläsernen Foyer wirkt der Saal introvertiert. Seine ursprünglichen Proportionen und Gliederungen sind beibehalten, doch ist die innere Verkleidung mit zeitgemäßen Formen und Materialien getrennt vor die historischen Mauern gestellt (Abb. 6). Alt und Neu stehen dadurch gleichberechtigt nebeneinander. Drei große in der Höhe verstellbare Lüster als Interpretation historischer Vorbilder und Kapitelleuchten an den Stützen vermitteln einen festlichen Charakter. Deutlich setzt sich der neue Mittelbau in der Badergasse durch Glasfugen und durch den eingestellten Treppenhauszylinder ab (Abb. 7). Gemeinsame Materialien wie gelber Sandstein und dunkler Muschelkalk sowie formale Bezüge dokumentieren jedoch die Zugehörigkeit zum Gesamtkomplex. Beide Materialien tauchen in den Anschlussgebäuden auf: Sandstein in der Fortführung zur Augustinerstraße und Muschelkalk an der Saalfassade (Abb. 8). Der Westgiebel des Saales, einst geschlossene Brandwand, erhielt eine neue Ansicht durch horizontale, alternierende Streifen aus Putz und einen Balkon als Blickfang (Abb. 9).
Nach fünfjähriger Planungs- und Bauzeit mit Baukosten von knapp 20 Millionen DM konnte das neue Kulturzentrum „Frankfurter Hof“ pünktlich zum 150. Jubiläum des historischen Saales 1991 eingeweiht werden, erhielt spontan, noch im gleichen Jahr, den „Mainzer Bauherrenpreis“ sowie die Auszeichnung „Vorbildliche Bauten in Rheinland-Pfalz“. Seitdem ist es ein „El Dorado“ besonders für internationale Größen aus Jazz, Klassik und Popkultur.