
18/08/2025
Keine Insel mit zwei Bergen
Kindernotinseln nehmen auf der Schönau eine alte Idee wieder auf
Schönau. „Da ist Holland in Not“, sagt man, wenn jemand in die Bredouille geraten ist. Manchmal auch dann, wenn ein Ausnahmezustand eingetreten ist oder große Gefahr herrscht. Die Redensart ist so geläufig, dass sie gelegentlich auch mit Augenzwinkern verwendet wird, wenn es sich bloß um eine Unannehmlichkeit handelt. Wenn dagegen ein Kind in Not gerät, gibt es kein Augenzwinkern. Jeder erinnert sich daran, dass er als Kind mal von einer Horde Größerer verfolgt und gehänselt wurde. Oder dass sogar Schläge drohten. „Das sag ich meinem großen Bruder“, hat mancher dann zu den Grobianen gesagt, aber schließlich kann auch ein großer Bruder nicht dauernd auf einen aufpassen. Und mal ehrlich: Wer wollte das schon?
Die berühmte Insel mit zwei Bergen kennt keine Not, sondern Tunnels und Geleise, Eisenbahnverkehr, schönen Strand, das Fotoatelier und den Laden von Frau Waas. Für die Kindernotinseln stand Lummerland nicht Pate, aber der Leser warte ab, denn wer weiß, wer weiß ... Als mögliche Kindernotinseln werden üblicherweise Geschäfte, Läden und ähnliche Orte gewonnen, auf der Schönau ist schon lange auch das Jugendhaus an der Straßenbahnendhaltestelle eine Notinsel; hier wurde das Projekt schon einmal vor vielen Jahren ins Leben gerufen (2018). Leiterin Nadine Schantz freut sich über die Neubelebung der Idee: „Das ist natürlich super.“
Jetzige Projektverantwortliche sind Christian Endres vom Quartierbüro Schönau und Sophie Glaser von Sicherheit in Mannheim (SiMA e.V.). Natürlich ist die Sache dort in guten Händen, denn hier sitzen Leute, die organisieren können, gut vernetzt sind und – gar nicht unwichtig – wissen, wo man Fördergelder beantragen kann. Wer aber zum Beispiel das Quartierbüro kennt, der weiß, dass von hier aus Kindern und Jugendlichen nicht einfach was vor die Nase organisiert wird. Im Sinne von: Das haben wir für euch gemacht, nun spielt mal schön! Endres: „Wir haben unser Ohr im Stadtteil und hören genau, wenn Wünsche und Bedürfnisse geäußert werden. Wenn wir dann etwas angehen, entlassen wir jedoch selbst die Kinder nicht aus ihrer Verantwortung, auch selbst die Ärmel hochzukrempeln.“
Unter Anleitung der Erwachsenen, die als Zuhörer, Ermutiger und Unterstützer wirkten, gingen Schönauer Kinder einen weiten Weg, um für ihre Interessen etwas zu bewegen. Seit Januar 2024 gab es eine Vielzahl von Unternehmungen, bei denen die Kinder die eigentlichen Akteure waren: ein Ferienprogramm in Kooperation mit der Polizei, das Projekt „Mein Stadtteil. Meine Heimat“ an der Schönauschule (von der GBG mit einem Förderpreis bedacht), Beteiligung von Jugendlichen bei der Stadtteilkonferenz, Kinder- und Jugendversammlung von 68Deins (Kinderbüro von Stadt und Stadtjugendring) im Jugendhaus. Im November berichteten einige Kinder selbstbewusst im Bezirksbeirat den Kommunalpolitikern und Bürgern über ihr Vorhaben und ernteten großes Lob.
Nach dieser Vorarbeit ging es aber 2025 erst so richtig los. Bei Rundgängen im Stil einer Stadtteil-Rallye überlegten Grundschulkinder, entdeckten und wiesen aus, wo sie Problemorte sehen. So entstand ein Notinsel-Ideenplan. In Schulen, im Jugendhaus und beim Tag des Zusammenlebens wurde der Plan ausgestellt. Jedes Kind des Stadtteils – auch die, die bei den Rallyes nicht dabei sein konnten – bekam so Gelegenheit, auch seine Empfindungen und Ansichten mit einzubringen.
Um der Sache ordentlich Dreh zu geben, teilten sich die Projektpartner die Aufgaben. SiMA übernahm den Kontakt zur Kinderschutzstiftung „Hänsel und Gretel“ und zum Notinsel e.V., der Grundschulförderverein stellte den Antrag auf finanzielle Förderung, das Quartierbüro koordinierte und begleitete die Aktionen im Stadtteil. Weitere Kooperationspartner sind das Jugendhaus, das Gesundheitscafé, die Schönauschule mit dem Kinderparlament und der Stadtgestalter-AG sowie die Hans-Christin-Andersen-Schule mit der Stadtteilforscher-AG. Die Rektorinnen der beiden Grundschulen Esther Steitz (Andersenschule) und Isabelle Schmitt (Schönauschule) betonten, dass die Erneuerung der Kindernotinsel-Idee von den Kindern ausging. Bei der Durchführung des Projektes erlebten die Schwächsten der Gesellschaft, dass sie mit Engagement etwas erreichen können. Außerdem wünschten sich die beiden Schulen ohnehin, miteinander vernetzt zu sein.
Ab Ende Juni suchten die beteiligten Kinder die Orte auf, die sie als Kindernotinseln gewinnen wollten. Wenn diese Werbephase vorbei ist, werden im Herbst Notinsel-Pläne gedruckt und an die Schönauer Schulen verteilt. Dabei ist dann vielleicht auch ein Fotoatelier. Vermutlich gibt es auf der Schönau zwar keine Frau Waas, aber sicher andere Läden, die mit der freundlichen Inhaberin auf Lummerland vergleichbar sind. Eine heile Welt wird die Schönau wohl nicht werden, aber gute Wünsche pflegen darf man ja wohl. Wer in der nächsten Zeit von zwei Bergen auf der Schönau träumt, melde sich jedenfalls bitte in der Redaktion. Wir werden berichten. JP
Fotos (6):
Rund ein Jahr Engagement im Stadtteil lag hinter den Kindern. Im Frühsommer wurden die ersten Kooperateure gewonnen (erste neue Kindernotinsel: GBG). Bald wird ein Stadtteilplan vorliegen mit allen Kindernotinseln der Schönau. alle Fotos: Paesler