31/10/2025
Elvis war auch dabei
Die Benz-Baracken sind verschwunden. Die Frohe Zuversicht in Waldhof Ost ist ein lebendiges Viertel
Waldhof Ost. Die Veranstaltung im Jugendhaus Soul Men Club war nicht übermäßig lang, aber so inhaltsreich, dass der Bericht darüber lang ausfallen wird. Sorry, es geht nicht anders, geschieht das doch nicht alle Tage und zeigt deshalb besonders klar, wo Bedeutendes geschieht. In Waldhof Ost wird etwas für Menschen getan und die Menschen selbst tun vieles. Zum Beispiel werden sie Weltmeisterinnen, davon gleich mehr. An der Wand hingen Computerausdrucke von Fotos aus früheren Zeiten. Eine Frau aus dem Publikum deutete auf eines: „Das da bin ich!“ Das Bild zeigte ein Mädchen mit Hund im Arm, vor mehreren Jahrzehnten aufgenommen.
Martin Willig, der in den letzten eineinhalb Jahren die Gemeinwesenarbeit in der Frohen Zuversicht leitete, hatte für diesen Abend mehrere uralte Filmbeiträge von unterschiedlichen Rundfunkanstalten ausgegraben. Seine Gesprächspartner waren Philipp Breitenreicher vom Marchivum, Christa Krieger, ehemalige Sozialarbeiterin im Viertel, Elvis aus der TV-Serie „Hartz und herzlich“ und Dr. Tobias Vahlpahl, Leiter der zehn Mannheimer Quartierbüros. Die zwei Weltmeisterinnen im HipHop Adriana und Mia, mit denen Willig am Schluss sprach, kommen aus dem Quartier, sind zehn und vierzehn Jahre alt und gaben den Abend über hinreißende Kostproben ihres Könnens.
Genug auf die Folter gespannt? Mancher hat es sicher schon erraten: Es geht um die Benzbaracken. Die eigentlichen Baracken gibt es heute nicht mehr; sie standen da, wo sich heute der Parkplatz von Daimler Truck erstreckt. Ihr Standort ist eng mit dem Straßennamen „Hinterer Riedweg“ verbunden, der 1982 durch Gemeinderatsbeschluss getilgt wurde. Die Veranstaltung nahm sich die Zeit, anhand einer der Filmbeiträge der Bedeutung des Wortes nachzuspüren. Das ergab unter anderem die Erkenntnis, dass Baracken häufig als Provisorium benutzt wurden, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg an manchen Stellen Mannheims als Flüchtlingslager.
So gab es beim Ulmenweg und in den Spelzengärten (Herzogenried) Barackenlager in sehr schlimmem Zustand. Teilweise hatten sich dort die Menschen je nach vorhandenem Material und Können selbst Hütten errichtet, die natürlich in erbärmlichem Zustand waren; es gibt Fotos aus dem Jahr 1926. Mit dem Bau der Benzbaracken ab 1930 wollte die Stadt die Situation entschärfen. Ab den Fünfzigerjahren wurden Wohnblocks mit Laubengängen errichtet und die Menschen aus den Baracken dorthin nach und nach umgesiedelt.
Das war gut gemeint, aber die ehemalige Bewohnerin Jutta, heute 63 Jahre alt, berichtete im Interview mit Martin Willig, dass sie das gar nicht als Vorteil erlebte. In den Baracken konnten die Kinder zur Tür raus und sofort draußen spielen. In den neuen mehrstöckigen Häusern war der Weg nach draußen viel weiter, die Häuser waren hellhörig und wurden als unangenehm empfunden. Im Übrigen berichtete Jutta aus ihrer Familie etwas, das im Gedächtnis hängen bleibt. Sie hatte 17 Geschwister, sie mussten immer zu zweit in einem Bett schlafen. Es mangelte ihr aber an nichts, die Familie hielt zusammen, sie hat ihre Kindheit als schön in Erinnerung. Übrigens sangen bei einem Fest die Kinder aus dem Viertel das Lied „Ich zeige dir mein Paradies“, das Andrea Jürgens 1978 mit elf Jahren in die Charts katapultierte; es schien ihnen offenbar für ihre Lebensumstände passend.
Die Probleme fingen für Jutta erst an, als sie in die Schule kam. Als sie vor der ganzen Klasse sagen musste, dass sie im Hinteren Riedweg wohnte, hatte sie ihr Stigma weg und wurde es nicht mehr los. Später gelang es ihr, durch Ausbildung und einen guten Beruf dem Armutsmilieu zu entkommen. Sie hat zwei Kinder, ihr Sohn konnte studieren.
Für den Kindergarten, den Christa Krieger seit Anfang der Sechziger aufbaute, wurde in einer Baracke eine Zwischenwand herausgenommen, sodass ein größerer Raum entstand. Zu Beginn war die Gruppe klein, dennoch: „Wenn alle sieben da waren, war die Hölle los.“ Krieger weiter: „Die Kinder kamen aus sehr engen Lebensverhältnissen. Wenn dann mal ein bisschen mehr Platz war, zeigte sich der Bewegungsdrang.“ Später kümmerte sich Christa Krieger um bis zu 24 Kinder. Jutta erzählte, welcher Lichtblick die Betreuung im Kindergarten für sie war. Bis heute hält sie einen herzlichen Kontakt zu ihrer damaligen Erzieherin.
„Elvis“ ist bekannt aus dem Fernsehen. Er erzählte, er könne gar nicht verstehen, dass Menschen zu seiner Wohnung pilgern und ein Autogramm von ihm wollen. „Ich bin ein ganz normaler Mensch, kein George Clooney. Das im Fernsehen ist doch eine Doku, wir stellen uns selbst dar.“ Er ist im Viertel geboren, zog als Kind weg und lebt seit 15 Jahren wieder hier. Von anderen, die schon länger hier wohnen, fühlt er sich nicht ausgegrenzt. „Ich bin stolz, hier zu leben. Hier gibt es einen Zusammenhalt wie sonst nirgends.“ Und was das Fernsehen betrifft: „Ein Drehbuch, wie wir sind, kann eh keiner schreiben.“ Damit hatte er die Lacher auf seiner Seite.
Tobias Vahlpahl dankte Martin Willig für seine Arbeit der letzten eineinhalb Jahre im Quartier. Demnächst wird Elena Traut wieder übernehmen, die in Elternzeit war. Vahlpahl erinnerte an die Verabschiedung Willigs als Betreuer der Waldhof-Fans vor etwa zwei Jahren. Sie hielten im Stadion ein Banner hoch mit der Aufschrift: „Danke, Martin, du bist Waldhof.“ Es sei auch daran erinnert, dass „Barackler“ ein Ehrentitel ist, der jedes Jahr vom Fanclub „Doppelpass“ vergeben wird. Willig ist Träger dieses Titels. Zum Schluss des Abends jedoch hatten Adriana und Mia nochmal die Bühne für sich. Sie erzählten, wie sie zum Tanzen kamen, und dass Ballett, mit dem sie angefangen hatten, für sie nicht das Richtige gewesen war. Adriana nutzte die Gelegenheit, ihrer Mutter ein Riesenkompliment zu machen: „Meine Mama ist my biggest supporter.“ Tja, so sind Barackler. jp
zum Foto::
Elvis (links) aus der TV-Serie „Hartz und herzlich“ im Gespräch mit Martin Willig. Elvis ist stolz, im Viertel zu wohnen. „Nirgends ist der Zusammenhalt wie hier“, sagt er. Foto: Paesler