01/10/2025
Pressemitteilung der IG Metall Salzgitter-Peine
IG Metall fordert massive Zukunftsinvestitionen zum Erhalt des Industriestandortes
Diskussion mit Bundestagsabgeordneten im Gewerkschaftshaus am 29.09.25
Die IG Metall schlägt Alarm: 12.000 Industriearbeitsplätze werden in Deutschland
aktuell jeden Monat abgebaut. Sie sieht auch die Politik gefordert, endlich bessere
Bedingungen für die Industrie zu schaffen – und so die Deindustrialisierung zu
stoppen. Dazu gehört etwa die Einführung eines wettbewerbsfähigen
Industriestrompreises, der schnellere Ausbau günstiger erneuerbarer Energien, von
Stromnetzen, Speichern und Wasserstoff-Infrastruktur sowie die Förderung der E-
Mobilität. Das Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaneutralität sollte gezielt für
Zukunftsinvestitionen genutzt werden. Außerdem müsse der Sozialstaat zur
Flankierung der Transformation weiter ausgebaut anstatt beschnitten werden.
Was können und werden Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis der IG Metall
Salzgitter-Peine in zentralen Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung
unternehmen? Zu diesem Thema bat die IG Metall die Bundestagsabgeordneten Dunja
Kreiser (SPD), Prof. Dr. Reza Asghari (CDU) und Cem Ince (Die Linke) am vergangenen
Montagabend zum offenen Austausch ins Gewerkschaftshaus. Neben den Positionen
zur Industriepolitik wollten die Gewerkschafter von den Gästen wissen, wie sie zur
Reform des Arbeitszeitgesetzes, zu Sozialstaat und fairer Lastenverteilung sowie zur
aktuellen Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht stehen.
Industriestandort Deutschland
Zu den Forderungen der IG Metall für eine aktive Industriepolitik wandte Reza Asghari
ein: „Die globalen Rahmenbedingungen sind schlechter geworden. Der
Industriestrompreis wird kommen, aber das wird wegen des Monsters Bürokratie
länger dauern.“
Cem Ince hob dagegen die Gestaltbarkeit von Politik hervor. Betriebliche
Mitbestimmung sei die unverzichtbare Voraussetzung, damit die Transformation im
Sinne der Menschen erfolgreich bewältigt werden könne. Zum Projekt der Salzgitter AG
für grünen Stahl sagte er: „Salcos müsste in der Bundesrepublik Prestigeobjekt sein.
Wir haben innovative Technologien, aber warum fördern wir diese nicht ausreichend?“
Die SPD-Abgeordnete Dunja Kreiser verwies auf die staatlichen Förderungen des
Salcos-Projekts, den Ausbau der A39 oder das regionale Netzwerk-Projekt als
Investitionen in die Zukunft. Offen blieb die Frage, wann die Förderungen aus den
beschlossenen Sondervermögen bei den Betrieben ankommen. Mehrere Redner
forderten vehement eine wesentlich schnellere Umsetzung. Die Förderung von
klimaneutraler Stahlherstellung, Batteriezellenfertigung und der
Wasserstofftechnologie sei kurzfristig und verlässlich nötig. Ansonsten sei ein
industrieller Kahlschlag zu befürchten, wie er aktuell vom Unternehmen MAN in
Salzgitter angedroht wird.
Zukunft des Sozialstaats
Beim Thema Sozialstaat setzt sich die IG Metall für eine solidarische Lastenverteilung
ein. Das bedeutet vor allem, dass mehr Menschen in die Sozialversicherungssysteme
einzahlen, also eine umfassende Bürger- und Erwerbstätigenversicherung geschaffen
wird. Außerdem sollen große Vermögen und Spitzeneinkommen gerechter besteuert
werden.
Nils Knierim, VK-Leiter Salzgitter Flachstahl, brachte es auf den Punkt: „Was wir uns
nicht mehr leisten können, sind die Superreichen.“ Der Angriff auf den Sozialstaat sei
in der Zeit der forcierten Transformation völlig unangebracht, Menschen bräuchten
gerade jetzt Sicherheit. Stattdessen müsse die Finanzierungsbasis durch erhöhte
Erbschaftssteuern oder die Wiedereinführung der Vermögenssteuer verbessert werden.
Kreiser stimmte dem grundsätzlich zu: „Wir benötigen solidarische Sozialsysteme,
mehr Effizienz und im medizinischen Bereich mehr Vorsorge.“ CDU-Politiker Asghari
lobte das Sozialsystem in Deutschland mit Bürgergeld und Krankenversicherung als
eine große Errungenschaft. Aber: „Manche nutzen den Sozialstaat aus.“
Ince widersprach unter Beifall: „Feindbilder gegenüber Bürgergeldempfängern
aufzubauen, dient nur den Rechtsextremen. Wir brauchen den Sozialstaat, weil der
Markt von allein überhaupt nichts für uns regelt.“ Der Sozialstaat könne auch in
Zukunft ausreichend finanziert werden, wenn die Lasten gerecht verteilt würden.
„Reform“ des Arbeitszeitgesetzes
Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, den 8-Stunden-Tag
durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzen zu wollen. Die IG Metall lehnt eine
Abschaffung des 8-Stunden-Tages allerdings als eine zentrale gewerkschaftliche
Errungenschaft entschieden ab. Nach ihrer Meinung laufen die Arbeitszeitpläne der
Regierung in die komplett falsche Richtung. Tatsächlich wurden 2024 1,2 Milliarden
Überstunden geleistet, die Hälfte davon unbezahlt, wie Oliver Kratzert, VK-Leiter von
Alstom Salzgitter feststellte.
Ince: „Mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit ist nur die Arbeitgebersicht gemeint.
Überlange Arbeitszeiten erhöhen aber das Gesundheits- und Unfallrisiko deutlich.“
Tatsächlich müsse die 35-Stunden-Woche und 4-Tage-Woche ausgebaut werden, denn
die Beschäftigten wollten nachweislich geregelte Arbeitszeiten.
Kreiser stellte ihre Sicht klar: „8 Stunden – da dürfen wir nicht dran rütteln“. Die
Menschen benötigten auch Zeit für ehrenamtliches Engagement, das in unserer
Gesellschaft unverzichtbar sei.
Asghari verteidigte die Pläne der Koalition: Mehr Flexibilität solle in bestimmten
Bereichen die Wettbewerbsfähigkeit steigern, denn „die Zustände haben sich leider
geändert.“ Aber er erklärte auch: „Der Staat darf sich nicht einmischen in die
Tarifautonomie.“
Debatte um die Wehrpflicht
Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretungen machten schließlich mit
einem Transparent ihre Sicht zur Wehrpflichtdebatte deutlich: „Frieden schaffen statt
Kriege machen!“ Sie fragten in die Runde: „Was tut ihr ganz konkret für den Frieden?“
Der CDU-Politiker Asghari forderte ein soziales Pflichtjahr, zivil oder bei der
Bundeswehr. Er stieß damit bei der Versammlung auf wenig Verständnis. Cem Ince
sprach das Grundanliegen der jungen Menschen aus: „Die Entscheidung über die
Wehrplicht darf nicht über die Köpfe der betroffenen jungen Menschen gefällt werden.“
Und: „Lasst uns doch einfach eine Abstimmung unter allen 16- bis 25-jährigen über die
Wehrpflicht machen, dann sehen wir mal weiter.“ In Richtung Asghari kommentierte er:
„Junge Menschen engagieren sich schon freiwillig ehrenamtlich, dazu braucht es
keinen Zwang.“
Starke Kritik wurde in der Versammlung an der Verwendung der Mittel aus den
Sondervermögen geübt, die überwiegend in Rüstung und Militarisierung fließen sollen.
Zukunftsinvestitionen müssten etwa in Richtung Bildung, soziale Sicherheit und
Gesundheit gehen und nicht in die Kriegsvorbereitung.
Der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Salzgitter-Peine, Matthias Wilhelm, fasst
zusammen: „Über Zukunftskonzepte wurde lange diskutiert, jetzt ist es allerhöchste
Zeit zu handeln. Die IG Metall wird nicht nachlassen, für den Industriestandort und ein
solidarisches und demokratisches Gemeinwesen zu kämpfen und den notwendigen
Druck auf die Politik und die Verantwortung der Unternehmen aufzubauen.“
Hintergrund
Die IG Metall hatte im Nachklang ihres bundesweiten Aktionstages im März, an dem in
fünf Städten 81.000 Menschen auf die Straße gingen, eine industriepolitische Petition
unter dem Motto „Mein Arbeitsplatz. Unser Industrieland. Unsere Zukunft!“ gestartet.
Mehr als 300 000 Beschäftigte haben diesen Weckruf inzwischen unterschrieben. Die
Unterzeichner fordern darin die Sicherung des Industriestandortes, eine gerechte
Finanzierung der Lasten und Sicherheit durch einen starken Sozialstaat. Bereits im
Herbst vergangenen Jahres hatte die IG Metall einen konkreten „11-Punkte-
Zukunftsplan zum Erhalt unseres Industrielands“ vorgelegt. Passiert ist seitdem wenig.
IG Metall Salzgitter-Peine