20/07/2025
🤸♀️ TRIKOTSAMMLUNG 🤸♀️ Folge 6: Hohenecker Premiere
🤩 👉 SPORT UND KULTUR lautet das Jahresmotto 2025 der SportRegion Stuttgart. In diesem Zusammenhang gibt es gleich vier Online-Serien. In der 6. Folge der Serie „Trikotsammlung“ geht es um die Ganzkörperanzüge der Turnerinnen des KSV Hoheneck.
💥 Folge 6: Hohenecker Turnerinnen setzen ein Zeichen
„Wir starten 2022 als erste deutsche Mannschaft in der Bundesliga in Ganzkörperanzügen bei unseren Wettkämpfen und freuen uns über jede Unterstützung dieses Projektes.“ Mit diesem Statement auf der vereinseigenen Homepage setzten die Turnerinnen der KSV Hoheneck im Mai 2022 ein Zeichen – nicht nur in ihrer „angestammten Heimat“, der 3. Bundesliga, sondern bundesweit. Und tatsächlich traten die Hohenecker Turnerinnen dann beim Saisonstart am 22. Mai 2022 in eigener Halle als erste Vereinsmannschaft nicht mit den im Turnsport „traditionellen engen, badeanzug-ähnliche Glitzeranzügen“ (wie es der Kölner „Express“ formulierte) an, sondern in neuen, maßgeschneiderten sogenannten „Unitards“. Ihre Premiere feierten diese Anzüge bei den Europameisterschaften 2021 Ende April in Basel, als die deutsche Frauen-Nationalmannschaft erstmals in Ganzkörperanzüge schlüpfte.
Und Ende Juli 2021, bei den Olympischen Spielen in Tokio, präsentierten sich dann Kim Bui, Elisabeth Seitz, Pauline Schäfer und Sarah Voss im Feld der 98 Starterinnen der Qualifikation erneut in Unitards – und sorgten damit für eine Revolution, die eine weltweite Diskussion anschob. Es ging um Regularien, um zu freizügige Fotos und um Befindlichkeiten der Turnerinnen – der Begriff „Bodyshaming“ (vor allem in sozialen Netzwerken abwertende Äußerungen über das Aussehen oder das Gewicht anderer) war in aller Munde. „Deutschlands Turnerinnen haben sich gegen die Sexualisierung des Sports ausgesprochen, indem sie bei den Olympischen Spielen in Tokio Einteiler trugen statt der traditionellen Bikini-Trikots“, kommentierte die bekannte US-Zeitschrift „People“ den Auftritt der deutschen Turnerinnen.
Anerkennung gab es via Twitter (heute: „X“) auch von der deutschen Sportler-Vereinigung „Athleten Deutschland“. Die erklärte: „Wir sind stolz auf die deutschen Turnerinnen und den Deutscher Turner-Bund, die in Tokio mit ihren Unitards ein starkes Zeichen gegen Sexismus setzten!“ Athletinnen und Athleten müssten selbst wählen können, was sie tragen, solange es ihnen keinen Vorteil verschaffe, so die Sportler-Vereinigung, und es gehe auch um ein Signal „für mehr Wohlbefinden der Sportlerinnen.“ Und der „Express“ schrieb damals: „Grätsche, Spagat, Spreiz-Sprünge – welche Frau würde diese Übungen gerne im hautengen Badeanzug vor einem Millionen-Publikum vorführen? Die Ganzkörperanzüge sind zwar auch hauteng, aber die deutschen Turnerinnen fühlten sich darin wesentlich wohler.“
Die KSV-Athletinnen aus Hoheneck jedenfalls wollten damals in der 3. Bundesliga „zeitgemäßen Turnsport präsentieren, ohne dass das Schamgefühl junger Mädchen und Frauen verletzt wird“, wie sie es in einem Facebook-Post formulierten. Hatten doch auch sie jahrelang eigene Erfahrungen mit verrutschten Turnanzügen, mit Abzügen der Kampfrichter beim „Korrigieren/Nachziehen“ während einer Wettkampfübung und vor allem mit Bildern, „die nicht in die Öffentlichkeit gehören und trotzdem dorthin gelangten“ gemacht.
Uta Ziegler aus Erdmannhausen, zu dieser Zeit Trainerin der KSV, teilte mit, „dass sich die Turnerinnen in der bisherigen Situation nicht wohlfühlen“. Und Teamturnerin Joana Lamatsch sagte: „Wenn ich mir vorstelle, dass ich bei einem Wettkampf vielleicht mal als allerletzte Turnerin am Schwebebalken antreten muss und die ganze Halle schaut zu – da macht man sich schon Gedanken, ob der Anzug nicht doch mal verrutschen könnte.“ Zwar benutze man „Turnanzugkleber, um das zu verhindern. Aber das funktioniert nicht immer“, ergänzte ihre Teamkollegin Valentina Herbst. „Mir ist es im Wettkampf zum Beispiel schon passiert, dass ich während einer Bodenübung unbewusst den Anzug zurechtgezupft habe“, bestätigte Mona Ziegler, die Tochter der Trainerin. „Das gibt sofort Punktabzüge“, bestätigte ihre Mutter. Und Valentina Herbst brachte noch einen anderen Aspekt in die Diskussion ein: „Wir turnen jetzt in der 3. Bundesliga. Da wird jeder Wettkampf im Livestream übertragen und ist dann auf YouTube abrufbar. Wenn da wirklich mal was verrutscht, oder man wird aus einem ungünstigen Winkel gefilmt, dann ist das auf ewig im Internet zu sehen.“
Auf Twitter (heute: „X“) liefen 2022 die Diskussionen heiß. Ein Fan schrieb: „Ich finde so einen Ganzkörperanzug viel schicker als diese knappen Dinger. Die Ganzkörperanzüge sind einfach cool!“ Andere wollten aber „jetzt kein Turnen mehr gucken“. Oder fragten: „Wen stören die engen Anzüge?“ Viele Fans bedankten sich beim deutschen Team „für das Zeichen gegen Sexismus im Sport“.
„Wir wollen uns toll fühlen, wir wollen allen zeigen, dass wir toll aussehen“, sagte 2021 die Kölnerin Sarah Voss in Tokio. „Man bewegt sich sehr viel und fühlt sich nicht immer hundert Prozent wohl“, erläuterte sie weiter, „mit den Ganzkörperanzügen ist das jetzt anders.“ Die deutsche Turntruppe wollte sich aber nicht als Speerspitze im Kampf gegen Sexismus im Sport sehen: „Es geht darum, sich wohl zu fühlen. Wir wollen zeigen, dass jede Frau, jeder selbst, entscheiden soll, was er anzieht“, forderte die Stuttgarterin Elisabeth Seitz.
Die Turnerinnen der KSV Hoheneck wurden am Ende der Saison 2022 übrigens Erster und stiegen in die 2. Bundesliga auf. Dort turnten sie eine Saison lang und stiegen anschließend wieder ab. Heute gehört die Frauen-Riege der Kultur- und Sportvereinigung Hoheneck der Regionalliga Süd an und ist nach dem ersten von vier Wettkampftagen Sechster. Auf der Homepage der Deutschen Turnliga (DTL) erinnert der KSV im „Mannschaftsprofil“ immer noch an das Jahr 2022: „Wir sind stolz zu sagen, dass wir die erste Vereinsmannschaft sind, die in langen Turnanzügen auftreten. Damit setzen wir, wie die deutsche Nationalmannschaft, ein Zeichen für die Selbstbestimmung von Sportlerinnen.“
▶ Mehr Infos: https://youtu.be/FH5UeOoiSzc?si=-CE0zCQ9GADHKYDT
📸 Pressefoto Baumann