13/06/2025
Klang ohne Bühne – Unerhörte Musiktraditionen auf den Kanaren
Musik von den Kanarischen Inseln wird oft mit folkloristischen Bildern verbunden: Timple, Tanzgruppen, Trachten und inszenierte Auftritte für Tourist:innen. Doch abseits dieser Bühnen existieren Klangwelten, die kaum jemand kennt – weil sie nie für das Publikum gedacht waren, sondern für das Leben selbst.
La Gomera: Gesang in der Landschaft
La Gomera ist vor allem durch „El Silbo“ bekannt, die Pfeifsprache der Insel. Doch es gibt auch eine Gesangstradition, die weniger auffällt, weil sie nicht auf Vorführung, sondern auf Verbindung beruht. Frauen sangen früher bei der Arbeit auf den Feldern, in langen, gedehnten Linien – ohne Text, aber mit klarer Melodieführung. Es waren Rufe, Klagen, manchmal Tröstungen, oft mehr Gefühl als Sprache.
El Hierro: Trance und Rhythmen der Riten
Auf El Hierro haben sich in kleinen Dörfern Klänge erhalten, die an alte Ritualgesänge erinnern. Wiederholende Formeln, monotone Tonfolgen, begleitet von einfachen Rhythmusinstrumenten oder bloßem Stampfen. Es sind keine Lieder im klassischen Sinn, sondern akustische Handlungen – Überlieferungen, die oft nur in engen familiären Kreisen weitergegeben wurden. Einige dieser Gesänge gehören zur Prozession der Bajada de la Virgen, andere sind fast verschwunden.
La Palma: Religiöse Chants und verborgene Harmonien
In den Kapellen und kleinen Kirchen von La Palma wurden bis ins 20. Jahrhundert religiöse Gesänge gepflegt, die auf alte iberische oder gar mozarabische Melodien zurückgehen könnten. Die Harmonien sind schlicht, aber ungewöhnlich, und unterscheiden sich hörbar von den liturgischen Standards der katholischen Kirche. Manche Notationen wurden erst vor wenigen Jahren durch musikwissenschaftliche Aufarbeitungen gesichert.
Warum diese Musik fast niemand kennt
Diese Musikformen wurden nie dokumentiert, weil sie nie als „aufführbar“ galten. Sie dienten keinem Zweck außer dem eigenen, inneren. Es gibt kaum Aufnahmen, keine Noten, und nur wenige Zeitzeugen. Vieles davon ist heute bereits verschwunden – oder lebt als Fragment in den Erinnerungen älterer Inselbewohner weiter.
Eine Frage des Zuhörens
Wer diese Musik finden will, braucht Geduld und Nähe. Sie lässt sich nicht downloaden, nicht reproduzieren, nicht kommerzialisieren. Sie ist nur dort, wo sie klingt – und nur dann, wenn jemand sie weitergibt. Vielleicht ist das der eigentliche Schatz: dass sie sich jeder Bühne entzieht.
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