09/12/2025
Der Abend hing schwer über dem Haus Stein, wie ein nasser Vorhang, der nicht fallen wollte. Hamburg im Oktober, feuchter Wind, dunkle Wolken, ein letzter Streifen blau hinter den Dächern und dann der Schrei. Er kam wie ein Riss durch die Stille. Erst gedämpft, dann scharf, dann verzweifelt. Lara hielt inne Flur, eine Mülltüte in der Hand.
Jonas, noch bevor ihr Kopf reagieren konnte, spürte ihr Körper das Ziehen in der Brust, ein Säuglingsschrei, der nicht nach Hunger klang, sondern nach Angst, nach Panik. Und dann traf sie der Geruch. Ein süßer Stich, warm, beißend, zu dicht. Windel, Milch, Stress. Er stieg die Treppe hinab unsichtbarer Nebel und umrundete Lara, bevor er sie traf. Sie schloss kurz die Augen, atmete ein, atmete aus.
"Ich bin nur die Haushaltshilfe", dachte sie. Aber ihre Füße bewegten sich bereits hoch, Stufe um Stufe, zum zweiten Stock. Der Lichtkegel der einzigen Lampe im Treppenhaus wackelte, als sie die Hand am Geländer festhielt. Jonas Schreien schnitt durch alles, füllte den Gang, füllte ihre Ohren, füllte einen Raum in ihr, den sie seit Jahren fest verschlossen hielt. Vor der Kinderzimmertür blieb sie stehen.
Der metallene Türknauf war kühl, glatt. Ihre Finger zitterten kaum merklich. Sie drückte ihn. Die Tür schwang auf und die Welt blieb einen Atemzug lang stehen. Das Kinderzimmer war hell, trotz des grauen Abends, die Wände in warmem Gelb, ein Teppich mit kleinen Sternen, ein mobiles Holzmobile über der Wickelkommode und in der Mitte dieses friedlichen Bildes Chaos. Die Windel lag offen wie ein gescheitertes Projekt.
Kleine braune Spuren zogen sich über das weiße Laken. Die Flasche auf dem Boden lief noch aus. Eine milchige Spur zog sich wie ein kleines Bächlein Richtung Teppich. Und auf der Bettkante saß ein Mann, Markus Stein. Anzugjacke halb offen, hemd zerknittert, die Krawatte nur noch ein loses Stück Stoff um seinen Hals, der Kopf in den Händen, die Schultern bebten und es war kein Geräusch in diesem Zimmer lauter als sein stummer Zusammenbruch.
Jonas schrie weiter. Die kleinen Fäuste angespannt, das Gesicht rot und nass. Lara stand im Türrahmen und brauchte einen Moment, um zu verstehen, was sie sah. Nicht die Unordnung, nicht die Windel, sondern ein Vater, der nicht mehr konnte. Markus hob plötzlich den Kopf. Seine Augen waren gerötet, glasig, erschrocken, als hätte man ihn bei etwas Verbotenem erwischt.
Raus prste er hervor. Nicht laut, aber schneidend. Eine Mischung aus Scham und Erschöpfung lag in dem Wort. Lara wich einen halben Schritt zurück. Reflex. Doch Jonas Schrei zog sie wieder nach vorn wie ein unsichtbarer Faden. Herr Stein, Jonas braucht Hilfe, sagte sie leise, Stimmenhöhe, vorsichtig wie ein Tastversuch. Ich habe gesagt, raus.
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Eine Entscheidung. So klein wie ein Atemzug, aber groß wie ein Wendepunkt. Sie ging an Markus vorbei, direkt zur Wickelkommode, direkt zu Jonas. Der Kleine krampfte mit....
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