02/08/2025
Florian Kronbichler hat wieder einmal ein sehr berührendes Portrait verfasst. Wer ist heute "die" Post? Spoiler: Es ist nicht mehr der "Poschtila", sondern der "Postaaa" und er rackert sich regelrecht ab.
„Postaaa!“ Gibt’s das?
Heut ist er gekommen. Wieder einmal. Seit das Landespresseamt die Lüge verbreitet hat (ist bald ein Jahr her), dass die Post „künftig“ fünfmal die Woche zugestellt werde, zähle ich die Tage. Zwei-, drei-, viermal, - dass ich einmal auf fünfmal gekommen wäre? Ich erinnere mich nicht. Die Post ist ein Skandal.
Ich nehme es dann jedes Mal mit dem Briefträger auf, so ich einen zu Gesicht bekomme. Hab den Eindruck, sie schleichen sich neuerdings an die Briefkästen heran. Als würden sie am liebsten gar nicht gesehen. So eingeschüchtert sind sie schon. Und falls doch erwischt, sind sie gleich gefasst auf Beschuldigung: Was denn los sei mit der Post. Warum sie nie komme. Ich müsste ja wissen, dass der Arme oder, gelegentlich, die Arme nichts kann für den Missstand. Tut mir leid, sag ich dann, ich beschwere mich halt bei dem, den ich vor mir habe.
Der Wortwechsel endet jedes Mal in Verbrüderung. Beide schimpfen wir auf „die Post“. Scheiß Post!
Ich kann nicht anders, als mich mit meinen Briefträgern anzufreunden. Wir sind beide Postopfer. Gegenwärtig heißt mein Vorzugspostler Biagio Ricci. Er ist Napoletaner und 33 Jahre alt. Briefträger, man möcht’s nicht glauben, sei sein Wunschberuf, ein „posto garantito“. Letzten Herbst hat er einen Wettbewerb gewonnen. Dafür schaffte er es in die Rangordnung. Für jeden Monat Warten gab es einen Punkt. Biaggio gewann mit 11 von maximal vorgesehenen 12 Punkten. Und wählte Bozen als Arbeitsplatz. Als Napoletaner für Bozen? Es war der einzige Standort, an dem er gleich anfangen konnte. Außerdem „war ich neugierig auf Bozen“.
Deutsch kann Biagio nicht. Er weiß, dass das vorgesehen wäre, aber er weiß inzwischen auch, „dass hier dann überhaupt keine Post mehr ausgetragen würde“. Dafür kann Biagios Frau, Giulia, Deutsch. Sie ist Laureata und war gleich entschlossen, mit ihrem Mann mitzukommen, zu dessen posto fisso nach Bozen. Das Paar erwartete zum Zeitpunkt der Entscheidung ein Kind. Nach dem Wunsch der Mutter sollte dieses jedoch noch als Napoletanerin geboren werden. November 2024 war es soweit. Serena kam zur Welt und zog mit Mutter Giulia zum Vater nach Bozen nach.
Das junge Paar hat in Bozen in der Guntschna-Straße eine Wohnung gefunden. Viel zu teuer natürlich. Der Großteil des Post-Gehalts geht in die Miete. Das Mädchen wird im Herbst in die Krippe kommen, in der weniger komfortablen Kaiserau-Casanova. Wenn sich in dieser Gegend eine günstigere Wohnung findet und Mama Giulia dann auch einer Arbeit nachgehen kann, sollen sich Einkommen und Miete auf ein erträgliches Maß einpendeln. Der Landesverwaltung hat die Familie Ricci bislang nichts zu verdanken. An die Förderungstöpfe heranzukommen müssen die Zuzügler noch lang warten. Biagio beklagt sich nicht. Nur, dass er fünf Jahre lang nicht wählen darf, dafür hat er nicht Verständnis.
Was diesen politisierten Biagio Ricci den Beruf eines Briefträgers so attraktiv erscheinen lässt? „Die Sicherheit“, nennt er als erstes. Dann die Arbeitszeit: Von halb zehn vormittags bis halb vier am Abend, sechs Tage die Woche. Einmal gehörte der Briefträger zu den beliebtesten aller Berufe. Diese Zeiten sind gründlich vorbei, seit Briefe so gut wie nicht und Grußkarten schon gar nicht mehr geschrieben werden. „Die letzten drei Wochen habe ich drei Postkarten ausgetragen“, Briefe mit handgeschriebener Adresse: keine“. Was geblieben ist, sind Rechnungen, gerichtliche Vorladungen, und Pakete, immer mehr Pakete.
Nichts mehr sei geblieben von der Romantik des Postboten, dem die Leute erwartungsvoll die Tür öffnen. Ob’s Brieflein dabei sei. „Eher erschrecken die Leute, wenn ich rufe „postaaa!“ Also gar kein Willkommensruf für ihn, der auch „wegen des Kontakts mit den Leuten“ zur Post gegangen ist? Kaum, sagt Biagio. Allenfalls von Kindern, „wenn ich die Pacchi bringe“. Sonst halt die Klagen, „dass ich nicht komme“. „Faccio il possibile“, sagt er. Biagio muss ein Gebiet abdecken, für das früher drei Briefträger unterwegs waren. Das gehe nur verteilt auf zwei oder drei Tage. Vorrang haben die Tageszeitungen, dann kommt „die Post“, eingeschriebene vor normaler, und so geht’s abwärts, die Wochenzeitung kommt grad noch vor dem Werbewust.
Und für das alles zu einem Lohn von anderthalb tausend Euro zieht eine junge Familie aus Neapel nach Bozen? Zu einer Monatsmiete von über tausend Euro? Die Antwort des jungen, gebildeten, engagierten Familienvaters ist herzerweichend: „Stiamo qui per dare un futuro a Serena, nostra figlia“.
Foto: Biagio Ricci, 33, aus Neapel, Briefträger in Bozen