18/10/2022
“Reit- und Trainierbarkeit sind nicht vom Wunschdenken des Pferdebesitzers abhaengig oder der Philosophie des Trainers.” 👍👍👍
🐴Trainieren oder nicht trainieren?
- Was hilft bei diffusen Lahmheiten?🐴
"Wo wenig Wissen herrscht, gibt es viel Meinung." (Martin Fischer)
Zum Beispiel, was das Thema Trainierbarkeit oder auch Reitbarkeit von Pferden, die "nicht ganz rund" laufen, betrifft.
Ein Befund ist kein Befund - wer rastet , der rostet, sagen die einen.
Ein Befund entscheidet darüber, ob das Pferd in Rente geht oder überhaupt weiter leben sollte, sagen die anderen.
Beide haben ein bisschen recht.
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Wie kann das sein?
Es gibt bei der Beurteilung von Trainierbarkeit einige Stolpersteine.
Ob ein Pferd nicht will oder nicht kann, ob es Freude und "Ausdruck" hat beim Reiten oder Stress, ob es "Spannung" zeigt oder lahmt - fragt man drei Reiter, bekommt man drei Antworten.
Dabei ist das keine Sache von Meinung. Es gibt dazu klare Merkmale. Dass die selten gesehen werden, ist auch gut erforscht:
Fakt ist zum Beispiel, dass besonders geringgradige Lahmheiten insbesondere der Hinterhand oft nicht oder nicht vollständig erkannt werden. Ob Sue Dyson 2017 oder Jasmin Müller-Quirin aktuell 2021: Um die 50% der von ihren Besitzern als nicht lahm eingeschätzten Pferde waren mehreren Studien an vielen hundert Pferden zufolge lahm. Denen schadet es idR, wenn sie einfach so wie vorher weiter geritten werden. Oder durch irgendeine Art von Training gedrückt werden.
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Lahmheiten werden also super häufig nicht erkannt. Besonders, wenn sie mehr als ein Bein betreffen. Und das tun sie immer, wenn über die erste Lahmheit hinweg trainiert wurde.
Umgekehrt war es ähnlich: ca 50% der lahm geschätzten Pferde waren lahmfrei (Müller-Qiurin 2021). Denen schadet es definitiv, bewegungsarm gehalten und nicht trainiert zu werden.
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Wann ist ein Pferd nicht trainierbar?
Eine Lahmheit entsteht, wenn ein Pferd versucht, schmerzhafte Bewegungen zu vermeiden. Schonmal eine Blase gerieben? Wenn du ein bisschen im Schuh vor rutscht und humpelst, lahmst du. Der Schmerz ist erträglicher, als wenn du nicht lahmst. Logisch, oder?
Kritisch sehen wir, wenn lahme Pferde durch mehr oder minder geschicktes Reiten oder Longieren dazu gebracht werden sollen, optisch harmonischer (für manche Betrachter) zu gehen. Das ist, als würde man mit dem Fuß mit der aufgeriebenen Blase dazu gezwungen werden, genauso zu gehen wie mit dem gesunden Fuß. Genau: autsch.
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Der einzige aus unserer Sicht ethisch unbedenkliche Gedanke ist deshalb:
Trainiert wird nur in den lahmfreien Gangarten.
Gibt es keine, wird bitte unbedingt diagnostiziert und tierärztlich behandelt und das Pferd überhaupt nicht trainiert. Es wird auch nicht etwa drauf los "trainingstherapiert", "faszientherapiert" und auch nicht der Osteo gerufen. Dessen Berufsethos ist nämlich, lahme Pferde nicht zu behandeln, sondern zum Tierarzt zu schicken! Oder zum zweiten Tierarzt zu überweisen ...
Ist nur der Schritt geradeaus lahmfrei, geht das Pferd bitte nur Schritt geradeaus. Idealerweise bis der Tierarzt kommt. Er war schon da und es gibt durch Leitungsanästhesie und bildgebende Diagnostik abgeklärte Befunde? Prima. Dann wisst ihr ja, gegen welchen Feind ihr kämpft.
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Möglicherweise heißt das bei chronischen Problemen, dass das Pferd letztlich lediglich spazieren gehen und auf die Koppel gehen darf. Oft ist auch sanft mobilisierendes Koordinationstraining möglich und nützlich. So kann es ggf glückliche 180 Jahre alt werden. Oder es wird sogar allmählich doch wieder belastbar. Das hängt aber vom Pferd ab und nicht vom Wunschdenken des Besitzers und leider auch nicht immer von der Trainingsplanung und -Philosophie. Es gibt keine Garantien.
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"Ich hab auch Befunde und trainiere"
Das wird immer mal als Argument heran gezogen, Pferde mit chronischen Problemen trotzdem mehr oder weniger überschwellig zu trainieren. Ich verstehe den Gedanken:
Mit meiner Knieverletzung von vor 6 Jahren reite ich schließlich auch! Ich bin sogar danach Triathlon gestartet.
Im Gegensatz zu Pferden, konnte ich aber: a) akute Schmerzen vermeiden, weil ich das Bein viel besser schonen kann als ein Pferd. Hochlegen zB. Ich muss nicht mein anderes Bein überlasten, ich konnte bei akuten Schmerzen einfach liegen.
b) meine Lahmheit artikulieren. Sie blieb so nicht unerkannt und mein Physiotherapeut nahm später Rücksicht auf meine Schmerzen in der Übungsauswahl.
c) keine Bewegungen ausführen, die mein Problem anreizen. Mehrere Kniebeugen machen zB kann ich bis jetzt nicht, ohne dass ich am nächsten Tag lahme. Wenn der Pferdetrainer nun denkt, er wüsste besser als das Pferd, welche Bewegung gut oder schlecht ist, besteht die Gefahr, in den Schmerz zu trainieren.
d) unnötiges Tragen von Gewicht vermeiden. Nee, nicht immer. Einkaufstüten oder Hafersäcke tragen sich nicht von allein. Sie sagen aber auch nicht: "Noch drei Runden, stell dich nicht so an, bei Knieproblemen hilft Hürdenlauf!"
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Fazit:
Reit- und Trainierbarkeit sind nicht vom Wunschdenken des Besitzers oder der Philosophie des Trainers abhängig.
In manchen Fällen hilft Training massiv. In manchen ist man froh, dass das Pferd noch einen weitestgehend schmerzarmen Sommer auf der Koppel hat ...
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Wir arbeiten übrigens an einen Onlinekurs Ganganalyse. Mit ganz vielen Fallbeispielen.
Dieser wird sehr systematisch erklären, wie auch jeder Laie diffusere Lahmheiten erkennt. Wir halten euch auf dem Laufenden.
OsteoDressage - Möller & Weingand