
01/04/2025
Hier wieder einmal etwas aus der Buchreihe Kalle-Nisses Träume und Erzählungen - November - , also Band 5, der für 2025/2026 geplant ist:
Takstens Geist (26. November)
Auf der Insel Gotland in dem kleinen Ort Lärbro, da lebte einst ein Bauer, der Nils Taksten hieß, was Dachstein oder Dachziegel bedeutete und so wurde der Hof auch nach dem Bauern benannt. Dieser Bauer, ein Gutsherr, war überaus reich und mächtig, so dass alle Angst vor ihm hatten. Er hatte selbst Macht über die Gemeinde und die Kirche, so sprach er einst zum Pastor: „Der Gottesdienst beginnt ab heute erst jeden Sonntag sobald ich in der Kirche angekommen bin, merke dir das gut!“ Ja, was sollte der arme Pastor da machen? Auf der einen Seite bezahlte der Bauer Taksten die neuen Kirchenbänke, Kirchenfenster und auch die Messgewänder, auf der anderes Seite wusste er, dass er sich mindestens eine gehörige Tracht Prügel von Nilss Knechten einfangen würde, wenn er sich nicht daran hielt, denn im Austeilen galt Nils Taksten in keinster Weise als zimperlich. Da half noch nicht einmal der Versuch einer Beschwerde beim Bischof, der nur meinte: „Denke daran, der Bauer ist ein großer Spender, ja der größte auf ganz Gotland, sieh es wie unser Herr: Wenn er dir auf die eine Wange haut, dann halte ihm auch noch die andere hin!“ Jetzt wusste der Pastor zumindest wo dran er beim Bischof war. Als der Bauer merkte, dass der Pastor so springen musste, wie er es wollte, wurde er immer dreister. Er, seine Mägde und Knechte kamen von da an später und später zum Gottesdienst.
Er trieb es so schlimm, das einem Sonntag sogar der Nachmittag verging, ohne das der Bauer auftauchte. Nun bestand die Gemeinde ja nicht nur aus dem Hof des Bauern Taksten. So forderten die anderen Gemeindemitglieder und auch anderen Bauern den Pastor auf, endlich mit dem Gottesdienst zu beginnen. Dieser begann dann schließlich, auch wenn er weiche Knie bekam. Mit zitternden Beinen stand der Pastor schließlich vor den Altar, als Nils Taksten die Kirchentür aufriss und als Gutsherr mit einem Schwert bewaffnet auf den Pastor losstürzte um ihn direkt zu töten.
Die anderen Bauern hatten das schon kommen sehen und so wurde er von verschiedenen starken Männern, Bauern als auch Knechten ergriffen, ins Pfarrhaus geschleppt und dort zunächst einmal für die Dauer des Gottesdienstes eingesperrt. Doch jeder Gottesdienst geht einmal zu Ende. Als man ihn wieder freilassen wollte, ging er wutentbrannt auf die Männer los, er hatte sich in keinster Weise beruhigt. So wurde das Pfarrhaus an diesem Nachmittag der Austragungsart einer heftigen Schlacht: Bauer Taksten gegen die anderen Bauern und Knechte der Gemeinde. Im Rahmen der Schlacht wurde es blutig im Pfarrhaus. Überallhin spritzte das Blut des Bauern über das Gemäuer und schließlich wurde der jähzornige Bauer getötet. Es sprach sich natürlich auf der ganzen Insel herum und die Menschen kamen auch aus Neugier vorbei, um sich den Ort anzusehen. Doch irgendwann reichte es dem Pastor und er ließ den Raum, in dem der Bauer sein Ende fand, renovieren und die Blutspuren beseitigen.
Doch mit der Beerdigung des Bauern war nichts zu Ende, ganz im Gegenteil, jetzt fing der Spuk erst an und das ist wörtlich zu nehmen! Noch am selben Abend, also der Tag der Beerdigung, kam Nils zurück auf seinen Hof. Er trat durch die geschlossene Küchentür, zog sich seinen Stuhl vom Küchentisch hervor, legte seine Füße auf den Herd und zündete sich seine Pfeife an. So ging es nun Tag für Tag aber vor allem Nacht für Nacht weiter. Seiner Familie und auch den Mägden gefiel es überhaupt nicht, dass da jetzt ein Geist in ihrem Haus lebte, der sich häuslich einzurichten begann. Nun hatte die Familie eine Magd, die Mirtel hieß und von der Insel Saaremaa stammte, die heute zu Estland gehört. Wie auch schon bei den Waldfinnen konnte man davon ausgehen, dass sich auch die Frauen aus Estland auskannten, wie man mit Spuk und Zauber umgeht. Ja, es gab noch andere Methoden als ein Psalmbuch oder ein Kruzifix um es Geistern ungemütlich zu machen. So füllte Mirtel den großen Kupferkessel des Hauses mit Wasser und brachte es zum Kochen. Danach kroch sie hinter den Herd und blieb still. Bauer Nils, oder besser sein Geist, kam dann wie jeden Abend in die Küche gepoltert, zog seinen Stuhl heran und legte die Beine auf den heißen Herd, was ihm ja nichts ausmachte, da es bewusst geschah. Doch dann stemmte sich Mirtel gegen den großen Kupferkessel. Nun darf man sich keinen Kessel vorstellen, wie wir ihn heute kennen. Damals hatten die Kessel noch drei Beine, damit man sie in die Glut stellen konnte. Es gelang ihr schließlich den Kessel zum Umstürzen zu bringen und das kochende Wasser auf die Beine von Nils zu gießen. Das war dann auch zu viel für den Geist. Laut fluchend soll er nach draußen gelaufen sein um die Küche danach nie mehr zu betreten.
Doch damit war der Spuk noch lange nicht vorbei, die Knechte und Mägde stöhnten: „Ach hätte man ihn doch in der Küche spuken gelassen, dann hätten wir jetzt unsere Ruhe!“ Nils Taksten hatte nämlich einen neuen Lieblingsplatz. Er saß jetzt immer auf dem First der Scheune und sah den Knechten und Mägden bei der Arbeit zu. Wenn sie im Herbst Holz nach Hause fuhren, dann beugte er sich vor und blies vom First herunter bis das die ganze Ladung auseinander fiel und sich vor der Scheune und dem Holzlager verteilte. Im Sommer war es noch schlimmer, sobald man Heu einfuhr, begann er zu blasen, bis dass das ganze Heu auf dem gesamten Hof verteilt war. Ja, die ganze Arbeit der Knechte und Mägde begann er zu verderben.
Hier konnte die arme Magd Mirtel nicht weiterhelfen. So entschloss man sich schließlich einen Zauberer herzuholen, da sich Zauberer in den Geschäften der Geisterbeschwörung auch auskannten. Der geschickteste Zauberer der damaligen Zeit lebte auf der Insel Öland. Ja, das waren noch Magier damals, die sich mit der Magie wirklich auskannten. Als sich der gerufene Zauberer dann nach Gotland einschiffte, sagte man ihm nach, dass er sich verkleinert hatte und in einem vollen Wasserglas auf einem Bein stehend angereist wäre.
Schließlich kam er in Lärbro an und ließ sich über die Taten des Geistes berichten. Der Zauberer nickt und meinte: „Über den Spuk will ich schon Herr werden!“ So ließ er sich dann eine weiße Stute und einen Silberlöffel bringen und ritt damit an einen Ort der etwas entfernt vom Hof lag, aber noch gut von der Scheune erkennbar war. Zuvor hatte er aber den Totengräber gebeten, ein neues Grab in der Nähe des Kirchenschiffes auszuheben, in dem Nils Geist eine zweite Bestattung erhalten sollte. Kaum war der Zauberer an dem Ort angekommen, da saß er bald richtig herum, bald verkehrt herum auf der Stute. Danach hob er ihren Schweif und tat so als würde er von dem Ende mit dem Silberlöffel essen. Die weiße Stute und der in der Sonne glitzernde Löffel waren gut sichtbar und das machte den Geist von Nils neugierig, genau darauf hatte der Zauberer gehofft. Der Geist von Nils verließ nämlich bald seinen Lieblingsplatz auf dem First und stand neben dem Zauberer: „Ich habe in meinem Leben verrückte Dinge gesehen und noch viel verrücktere Dinge gehört, aber so etwas! Du bist bestimmt irre?“
Der Zauberer gab keine Antwort, wusste er jetzt doch, dass er die volle Aufmerksamkeit des Geistes hatte. So zog er einen Runenrolle aus seiner Tasche und war sie in Richtung von Nils: „Fang sie, wenn du kannst!“, befahl er dem Geist.
Jetzt werdet ihr keine Runenrolle kennen, ich hoffe es jedenfalls für euch, denn das würde bedeuten, dass ihr euch mit der dunklen und schwarzen Magie auskennt.. . Eine Runenrolle ist so etwas wie ein Zauberstab, allerdings hat sie im Gegensatz zu einem Zauberstab keinen Griff , was auch einen guten Grund hat, aber auch sie ist wie ein Zauberstab geschaffen und besitzt rundherum eingeschnitzte Runen. Allerdings gibt es noch einen großen Unterschied! Ein Zauberstab ist dazu geschaffen, einen Zauber auszusenden, eine Runenrolle im Gegensatz dazu einen Zauber einzufangen oder zu bannen.
Als nun der Geist von Nils die Runenrolle mit der Hand einfing, blieb sie in dem Holzstab der Rolle stecken. Der Geist versuchte den Stab mit der linken Hand loszuziehen, aber auch diese blieb am Stab kleben. Danach versuchte er sich auf den Runenstab zu stellen, aber auch der rechte Fuß blieb daran kleben. Sein Versuch die Rolle mit dem linken Fuß wegzutreten, war ebenfalls ohne Ergebnis, der hing kurz darauf ebenfalls an der Rolle. Zuletzt versuchte es der Geist von Nils mit den Zähnen. Er wollte die Rolle abbeißen oder die Runen abkauen, aber so Zaubermittel sind aus einem besonderen Holz geschnitzt, kurzum: Es funktionierte nicht! Wie ein Hund, der einen Stock holt und sich dabei überrollt hatte hing er an der Runenrolle. Jetzt konnte ihn der Zauberer förmlich zur Kirche rollen, an der schon das frisch ausgehobene Grab auf ihn wartete. Kaum lag er in seinem Grab als der Zauberer begann ihn hier zu bannen. Zunächst legte er ein Bärenfell auf den Geist, der es sich scheinbar in seinem Grab bequem gemacht hatte: „Für jedes Haar auf diesem Fell, bleibe ein Jahr hier liegen!“ Da hörte er ein hämisches Lachen aus dem Grab: „Das werde ich wahrscheinlich überleben!“ Danach warf der Zauberer Bleiklumpen in das Grab: „Bleibe hier liegen, bis das Blei verrottet ist!“ Wieder erscholl das hämische Lachen aus dem Grab: „Das werde ich wahrscheinlich überleben!“ Doch der Zauberer gab nicht so schnell auf und warf schließlich Lindenkohle in das Grab: „Bleibe hier liegen, bis die Kohle verrottet ist!“ Diesmal gab es eine andere Antwort aus dem Grab, die fast flehentlich klang: „Das passiert nie.“ Erst jetzt ließ der Zauberer das Grab schließen und abdecken. Auf dem Hof von Taksten ist seitdem Ruhe eingekehrt, doch glaubt es mir oder nicht: Gestorben ist der Geist des Bauern bis heute nicht, er ist nur auf dem Kirchhof gebannt. Viele Jahrzehnte später wollte nämlich der Totengräber ein neues Grab ausheben, das in der unmittelbaren Nähe des Grabes des Geistes lag, als aus der Erde eine Stimme erklang: „Nicht näher!“
Wenn er nicht gestorben ist, und davon könnt ihr ausgehen, ja, dann lebt er auch noch heute!
Anmerkungen:
Das Märchen / die Erzählung basiert auf einer alten gotländischen Legende, unlektorierte Fassung, (C) Copyright WeyTeCon Förlag 2025
Der Zauberer auf dem Bild ist vom Bing Copiloten erstellt worden.